Google muss Vorleben nicht verheimlichen

Kunstfehler oder Rufmordkampagne? Eine Medizinerin hat ihren Wunsch nicht aufgegeben, wieder als Zahnärztin zu werken.
Kunstfehler oder Rufmordkampagne? Eine Medizinerin hat ihren Wunsch nicht aufgegeben, wieder als Zahnärztin zu werken. REUTERS
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Der Oberste Gerichtshof lehnt den Wunsch einer Problemärztin ab, ihre frühere Identität bei der Internetsuche geheim zu halten. Sie hatte sich nach einer Namensänderung den Eintrag in eine Zahnärzteliste erschlichen.

Wien. „Autoverv“: Tippt man diese acht Buchstaben ins Suchfeld von Google, taucht in einer Drop-down-Box direkt darunter bereits das gesuchte Wort „Autovervollständigung“ auf. Gegen diese Funktion der Suchmaschine, die dank der dahinterstehenden Algorithmen oft längst einen Schritt weiter ist als der Suchende selbst, versuchte eine Zahnärztin gerichtlich vorzugehen. Beginnt man nämlich, die Ärztin ins Suchfeld zu schreiben, schlägt Google sogleich als nächstliegende Suche nicht bloß den vollständigen jetzigen Namen der Frau vor, sondern auch einen anderen, den sie früher führte. Und mit diesem würde sie lieber nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Doch der Oberste Gerichtshof (OGH) sieht keinen Grund, diese Verknüpfung zu untersagen.

Mangelhafte Zahnbehandlung

Die österreichische Medizinerin will sich von ihrer Vergangenheit distanzieren, weil diese, vorsichtig ausgedrückt, problematisch war. Die Frau – nennen wir sie nur S. – war bis Anfang 2008 in den Niederlanden unter dem Namen M. als Zahnärztin eingetragen. Im Jahr davor hatte sie sich einen Verweis der dortigen Aufsichtsbehörde eingehandelt. Diese hatte Unzulänglichkeiten bei der Aufklärung und Behandlung von Patienten, schlechte und zum Teil unnötige Zahnbehandlungen und Beschwerden gegen die Verrechnung geortet.

Noch bevor sie sich auf eigenen Wunsch von der niederländischen Ärzteliste streichen ließ, hatte sie um ihre Eintragung in Großbritannien angesucht. Die Briten lehnten ab, und die Niederländer sprachen einen weiteren Verweis aus. Daraufhin ließ M. in Innsbruck ihren Vor- und ihren Familiennamen ändern. Und als S. schaffte sie es, auf die britische Liste der Zahnärzte zu kommen. Doch im Mai 2011 strich das Professional Conduct Committee des britischen General Dental Council sie von der Liste. Es hatte festgestellt, dass S. bei der Registrierung fälschlich angegeben hatte, dass gegen sie weder im In- noch im Ausland ein Disziplinarverfahren gelaufen war: für das Komitee ein vorsätzliches unehrliches Verhalten. Seine Entscheidung ist, einschließlich eines Verweises auf die Gründe des niederländischen Disziplinarverfahrens, im Internet nachzulesen.

S. hat dennoch ihre Absicht nicht aufgegeben, als Zahnärztin zu praktizieren. Sie scheint mittlerweile unter ihrem früheren Namen M. in Italien als Zahnärztin auf. All das ist der allwissenden Suchmaschine Google nicht verborgen geblieben: Man braucht nur den einen oder den anderen von ihr geführten Namen zu suchen, schon taucht mithilfe der Autovervollständigung auch der jeweils andere auf. Schlimmer noch: Eine Zeit lang legte Google zusätzlich auch noch die Suche nach „Verleumderin“ oder „Verbrecherin“ nahe.

Die solcherart apostrophierte Person beklagte sich Google gegenüber, in den Niederlanden Opfer einer Rufmordkampagne geworden zu sein, obwohl sie sich nichts habe zuschulden kommen lassen. Google strich daraufhin in seiner Autovervollständigung die beiden V-Wörter in Verbindung mit dem Namen der Frau.

Diese wollte jedoch mehr: Sie klagte auf Schadenersatz in Höhe einer halben Million Euro und verlangte die Löschung all ihrer personenbezogenen Daten. Das Landesgericht Salzburg und das Oberlandesgericht Linz lehnten eine sicherheitshalber beantragte einstweilige Verfügung ab, wobei die zweite Instanz ausdrücklich einen Revisionsrekurs an den OGH zuließ: Denn anhand der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur könne nicht verlässlich geklärt werden, ob die Vervollständigung der Namenspaare mittels Autocomplete-Funktion eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung sei.

Der OGH stellte nicht nur klar, dass die österreichischen Gerichte für den Fall zuständig sind (weil Google von seinem Sitz in den USA aus nach Österreich „sendet“) und österreichisches Recht anzuwenden haben (weil die „Sendung“ hier ihre schädigende Wirkung entfaltet). Er gestand Google auch das Recht zu, den alten und den neuen Namen der Frau für Suchanfragen zu verknüpfen: „Die Klägerin will nach dem von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt wieder als Zahnärztin arbeiten, weshalb nicht ersichtlich ist, worin ihr legitimes Interesse an einer Geheimhaltung ihrer früheren Identität liegen sollte, zumal sie gerade deshalb von der Liste der britischen Zahnärzte gestrichen worden war, weil sie dort falsche Angaben über ihre Identität gemacht hatte“ (6 Ob 26/16s). Die Verknüpfung der beiden Namen sei eine wahre Aussage, und diese sei aus der von der britischen Aufsichtsbehörde auch im Internet veröffentlichten Disziplinarentscheidung ersichtlich.

Diese Behörde sei sogar dazu verpflichtet, nach der Löschung betrügerisch erlangter Eintragungen die Entscheidung darüber zu veröffentlichen.

Namensnennung nicht verpönt

Der OGH betont, dass es kein allgemeines Recht gibt, die Nennung eines fremden Namens zu untersagen. Rechtswidrig werde eine Namensnennung erst dann, wenn sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen verletze. „Eine Verletzung liegt regelmäßig vor, wenn über den Namensträger etwas Unrichtiges ausgesagt wird, das sein Ansehen und seinen guten Ruf beeinträchtigt, ihn bloßstellt oder lächerlich macht“, zitiert der Gerichtshof seine frühere Judikatur. Die Höchstrichter weiter: „Ist die Namensnennung nicht gesetzlich verboten und hat der Namensträger einen sachlichen Anlass zur Nennung seines Namens gegeben, dann wiegt das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit hingegen regelmäßig schwerer als der Schutz der Privatsphäre.“

Und wie verhält es sich in diesem Fall mit dem Recht auf Vergessen, das der Gerichtshof der Europäischen Union im Jahr 2014 im Fall Google Spain SL (C-131/12) entwickelt hat? Das stand hier gar nicht zur Debatte: Denn beim Recht auf Vergessen geht es um die Frage, ob ein Suchmaschinenbetreiber Links zu Internetseiten Dritter löschen muss, die Informationen über einen Betroffenen enthalten. Der Fall der Zahnärztin handelt hingegen von Informationen, die Google selbst generiert: eben mithilfe eines Algorithmus, der die Suchanfragen anderer Nutzer statistisch auswertet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 9. Mai 2016)

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