Autonomie: „Lehrerarbeitszeit wird neu zu definieren sein“

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SchülerinAPA/GEORG HOCHMUTH
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Autonomie macht die Schülerleistungen nicht automatisch besser. Man muss darauf achten, dass keine Restschulen entstehen. Es brauche mehr Konsequenzen, falls Schulen nicht die erwartete Leistung bringen.

Wien. Ein wenig dämpfte Ilse Schrittesser von der Uni Wien die Erwartungen, die mit mehr Schulautonomie verbunden sind: „Es ist nicht nachweisbar, dass damit automatisch das Lernen der Schüler besser wird. Auch in internationalen Studien gibt es keine eindeutigen Daten.“ Es kommt also auf die flankierenden Maßnahmen für die Autonomie an – die ja auch mit der Bildungsreform erweitert werden soll.

Etwa, um eine Kluft zwischen den Schulen zu verhindern. „Man will ja differenzieren“, sagt Ilse Schrittesser bei der Diskussion am Institut für Bildungswissenschaften am Montag. „Aber man muss auch darauf achten, dass nicht ein paar besonders attraktive Standorte entstehen und Restschulen, die im Regen stehen gelassen werden.“ Neos-Chef Matthias Strolz plädierte daher für eine sozialindexbasierte Finanzierung. Und dafür, Schulen zu sozialer Durchmischung zu verpflichten. „Wenn das nicht mit Anreizen gelingt, dann über Quoten.“

Ein weiterer Punkt ist die Lehrerarbeitszeit. „Wenn mehr Entwicklungsarbeit geleistet wird und mehr Entscheidungen vor Ort zu treffen sind, wird diese neu zu definieren sein“, sagt Schrittesser. Sie plädiert für eine Jahresarbeitszeit. „Man müsste die Bedingungen so ändern, dass den Lehrern klar wird, dass nicht nur die Unterrichtsstunde ihre Arbeitszeit ist, sondern auch das Drumherum.“ Lehrer wünschten sich teilweise selbst eine Kernarbeitszeit an der Schule. Dass erst 2013 ein neues Lehrerdienstrecht beschlossen wurde, sei da eher ein Problem, sagte ÖVP-Abgeordneter Asdin El Habbassi. „Ein Dienstrecht zu beschließen, mit dem ich Autonomie praktisch unmöglich mache und dann Autonomie umsetzen zu wollen, ist die falsche Reihenfolge.“

„Keine Reform ohne Konflikt“

Grünen-Bildungssprecher Harald Walser will Autonomie auch als einen Schritt weg vom Obrigkeitsstaat – und gleichzeitig mehr Konsequenzen bis zur Kündigung eines Lehrers oder Schulleiters. „Ein Leiden unseres Schulsystems ist die Konsequenzlosigkeit aller Überprüfungen“, sagte er. In den Niederlanden etwa würden Schulen alle paar Jahre evaluiert – vom Output bis zur Stimmung. Und diese Evaluierungen hätten auch Folgen. Dass das mit der Lehrergewerkschaft umgesetzt werden kann, hält er nicht für wahrscheinlich. „Es gibt keine Reform ohne Konflikte. Irgendwann muss man sagen: ,Wir lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen.‘“ Ähnlich sieht das Strolz: „In der institutionellen Verfasstheit dieser Koalition geht das nicht.“ El Habbassi ist optimistischer: Wenn man den härteren Umgang mit den wenigen schwarzen Schafen als Weg sehe, das Ansehen der Pädagogen generell zu gewährleisten, gebe es wohl auch Gesprächsbereitschaft.

Klemens Riegler-Picker, der für Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) im Verhandlungsteam für die Bildungsreform sitzt, teilt übrigens die Befürchtung von Bildungsforscher Stefan Hopmann, dass von der Autonomie letztlich nur das Gehäuse übrig bleiben könnte. Der Vollzug dessen, was man – voraussichtlich im Herbst – in Gesetze gießen werde, liege beim Bildungsressort. Es brauche einen massiven Kulturwandel. „Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass die neue Bildungsministerin einen anderen Zugang hat als die bisherige“, sagt Riegler-Picker. Als frühere Uni-Rektorin wisse Sonja Hammerschmid immerhin, was Autonomie bedeute.

AUF EINEN BLICK

Nächster Termin. „Die verplante Kindheit“ ist der Titel der vierten Ausgabe der Veranstaltungsreihe von „Presse“ und dem Institut für Bildungswissenschaften. Es diskutieren Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP), Kinderpsychiater und Autor Paulus Hochgatterer, Pädagogin Nina Hover-Reisner (FH Campus Wien) und Wilfried Datler (Uni Wien). 13. Juni, 15 Uhr, Sensengasse 3a, 1090 Wien, Hörsaal 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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