Schmerzengeld: 90.000 Euro für kürzeres, aber aktives Leben

(c) FABRY Clemens
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Ein Mann muss wegen eines Behandlungsfehlers im Spital mit wachsenden Schmerzen leben und mit einer stark verringerten Lebenserwartung fertig werden. Der Oberste Gerichtshof bremst trotzdem beim Schmerzengeld.

Wien. 150.000 Euro seien zu viel, 90.000 jedoch angemessen: Das ist, auf die nackten Zahlen reduziert, das Ergebnis eines Schmerzengeldprozesses, den ein Mann als Opfer eines Behandlungsfehlers im Spital bis zum Obersten Gerichtshof durchgefochten hat. Der Mann muss mit wachsenden Schmerzen leben, mit Angstzuständen und mit dem Wissen um eine verkürzte Lebenserwartung.

Die erste und zweite Instanz wollten ihm 150.000 Euro zusprechen. Für den OGH ist der Kläger aber im Vergleich zu den Schäden, die andere Verletzungsopfer mit hohen Schmerzengeldbeträgen abgegolten erhalten haben, deutlich weniger schlimm dran: Immerhin sei ihm „trotz der aus der Fehlbehandlung resultierenden massiven Beeinträchtigungen noch die Teilnahme am familiären und beruflichen Leben möglich“. Der OGH weiter: „In Anbetracht der Gesamtsituation des Klägers erscheint dem erkennenden Senat ein Schmerzengeld von 90.000 Euro als angemessen (10 Ob 89/15h).

Schmerzen nicht abgeklärt

Die Vorgeschichte: Der Mann, damals knapp über 30, ging wegen starker Schmerzen in der linken Schulter ins Spital. Dort stellte man – außer atraumatischer (verletzungsfreier) Schulterschmerzen – nichts fest. Vor allem nicht ein akutes Koronarsyndrom (eine Herz-Kreislauf-Erkrankung), das drei Tage später zu einem Infarkt führte und das Herz des Mannes irreversibel schädigte. Hätte man den Regeln der ärztlichen Kunst gemäß die Schmerzen besser abgeklärt und die Probleme am Herzen erkannt, hätte man eine Therapie einleiten müssen, um die Durchblutung des Herzmuskels wiederherzustellen. So wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit der Herzinfarkt samt Folgeschäden verhindert worden.

Diese sind gravierend. Nach den starken Schmerzen bei und direkt nach dem Infarkt leidet der Mann an einem typischen Tag jeweils acht Stunden unter mittelgradigen Schmerzen mit Atemnot und Beklemmungsgefühlen und acht Stunden unter leichten Schmerzen. Strengt er sich körperlich an, stolpert sein Herz. Auch psychisch ist der Mann stark belastet: Es plagen ihn Existenzängste und Depressionen. Die Geburt eines Kindes gab ihm zwar Auftrieb, aber auch Anlass zu stärkeren Existenzängsten. Obwohl er seinen Beruf nach wie vor ausübt, ist seine Leistungsfähigkeit gegenüber einem Gesunden auf maximal die Hälfte reduziert.

Es könnte aber noch schlimmer kommen. Aus ärztlicher Sicht werden die Herzrhythmusstörungen zu- und die Herzmuskelfunktion abnehmen; Patienten mit chronischem Herzversagen sterben erfahrungsgemäß oft an einem plötzlichen Herztod oder, nach schwerem Leiden, durch ein progressives Pumpversagen des Herzmuskels. Die Lebenserwartung des Mannes ist jedenfalls stark reduziert.

Opfer wollte 200.000 Euro

Dass die beklagte Stadt als Spitalserhalter für den angerichteten Schaden einstehen muss, steht längst fest. Die Frage war nur noch, wie hoch die Schmerzen zu bewerten waren; 50.000 Euro, die der Mann bereits überwiesen bekam, waren ihm jedenfalls zu wenig. Mit Blick auf die vorhandene und zunehmende Schmerzbelastung und auf die zu befürchtende Verkürzung seines Lebens verlangte er weitere 150.000 Euro.

Nicht ganz so viel, aber immerhin 100.000 Euro sprach das Landesgericht Feldkirch ihm zu. Während auch das Oberlandesgericht Innsbruck damit das gerichtliche Ermessen gewahrt sah, hielt der OGH den Betrag für zu hoch. Dies vor allem im Vergleich dazu, was andere Opfer (siehe Artikel unten) nach der bisherigen Rechtsprechung erhalten haben.

Schmerzengeld etwa in der Höhe, die von den Vorinstanzen zugesprochen wurde – also von 130.000 bis 180.000 Euro – wurde in der Vergangenheit durchwegs Opfern zugesprochen, die schwerste Behinderungen erlitten haben. Darunter auch solche, die ihr Bewusstsein massiv beeinträchtigten und die sie komplett von anderen Menschen abhängig machten. Mit diesem Vergleich vor Augen dürfe man dem klagenden Patient keinen ähnlich hohen Betrag zusprechen, selbst wenn das Geld mittlerweile weniger wert geworden sein mag.

„Auch wenn der Kläger in relativ jungem Alter mit einer 50%igen Verringerung der Leistungsfähigkeit, den täglichen Schmerzen sowie dem Wissen um eine deutlich verkürzte Lebenserwartung konfrontiert ist, ist ihm noch eine aktive und selbstbestimmte Lebensgestaltung möglich“, führte der Gerichtshof zur Begründung aus. Die Teilnahme am familiären und beruflichen Leben sei dem Mann noch immer möglich.

Thomas Juen, der Anwalt des Mannes, hält die 90.000 Euro für deutlich zu niedrig. Dass der OGH seine Schmerzengeldreduzierung mit einer vergleichenden Sicht auf andere, noch schwerere Fälle der vergangenen Jahre begründet – in denen den Betroffenen seines, Juens, Erachtens ebenfalls ein viel zu niedriges Schmerzensgeld zugesprochen wurde – sei kein Trost.

Die Beklagte argumentierte in die entgegengesetzte Richtung: Sie wollte die Verkürzung der Lebenserwartung nicht berücksichtigt sehen. Tatsächlich gibt es Entscheidungen, in denen der OGH eine Entschädigung für einen verfrühten Tod abgelehnt hat. Sie unterscheiden sich aber wesentlich vom hier behandelten Fall: Es ist um Forderungen von Hinterbliebenen zum Ausgleich einer verkürzten Lebenserwartung von Unfallopfern gegangen – also um Ersatz für eine Zeit nach dem Tod der Opfer.

Wissen um früheren Tod

Diese Art von Schadenersatz wäre laut OGH mit dem Zweck des Schmerzengelds unvereinbar. Der Herzpatient wollte aber gar keine Entschädigung für die Zeit nach seinem Tod; vielmehr wollte er – neben seinen Schmerzen – auch das Wissen darum abgegolten haben, dass er nun kürzer zu leben hat als nach dem normalen Lauf der Dinge. „Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin widerspricht es nicht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, derartige psychische Beeinträchtigungen bei der Bemessung zu berücksichtigen“, so der OGH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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