Wenn Verträge automatisiert werden

(c) Bloomberg (Chris Ratcliffe)
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Die zunehmende Verbreitung von Dingen, die sich über das Internet von ferne steuern lassen, eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Das Recht gibt jedoch Rahmenbedingungen vor.

Wien. Die Welle der Digitalisierung macht vor dem Recht nicht halt: Programmierte Verträge, die die Vertragsdurchführung weitgehend automatisieren, sollen die Kosten der Rechtsdurchsetzung drastisch reduzieren und den Gang zu Gericht entbehrlich machen.

Ein weitverbreitetes Beispiel eines solchen Smart Contract sind Digital-Rights-Management-Systeme (DRM): Wer eine derart geschützte CD oder DVD kauft, darf die Inhalte nicht nur nicht weitergeben, er kann es auch nicht.

Heute lassen sich freilich nicht nur digitale Waren, sondern auch körperliche Sachen digital steuern. Das „Internet of Things“ integriert in immer mehr Waren einen kleinen Computer mit Internetverbindung, von Autos (Smart Cars) oder Accessoires (Wearables) bis hin zu Kühlschränken oder Waschmaschinen (Smart Home). Das ermöglicht, körperliche Dinge einem programmierten Vertrag zu unterwerfen.

Der Versicherungsvertrag, dessen Prämie sich je nach Fahrverhalten dynamisch anpasst, ist bereits Realität. Das Auto-Leasing, bei dem der Pkw bei Zahlungsverzug selbstständig zum Leasinggeber zurückfährt, könnte es bald sein, ebenso der Kühlschrank, der sich ausschaltet, wenn der Käufer mit einer Kaufpreisrate in Verzug gerät.

Weil eine derart automatisierte Vertragsabwicklung rasch die Menschenwürde berühren kann, greift hier das Datenschutzrecht ein: Voll automatisierte Einzelentscheidungen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigen, sind nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung nur zulässig, wenn der Betroffene ausdrücklich eingewilligt hat oder die Automatisierung für die Vertragserfüllung erforderlich ist. Eine solche Erforderlichkeit ist jedoch oft höchst fraglich.

Jedenfalls darf die Entscheidung nur automatisiert werden, wenn der Betroffene das Recht erhält, ein Eingreifen des Vertragspartners zu erwirken sowie seinen Standpunkt darzulegen. Weiters muss er vorab in verständlicher Weise über die integrierte Logik sowie die Tragweite der Entscheidung informiert werden. Je nach Komplexität des Smart Contract kann das eine erhebliche Herausforderung für Unternehmen darstellen.

Verbotene Besitzstörung

Auch die eigenmächtige – wenn auch automatisierte – Störung des Besitzes wird von der Rechtsordnung nicht ohne Weiteres gebilligt. Wer seine Sache von einem anderen zurückhaben will, darf nur dann zur Selbsthilfe schreiten, wenn staatliche Hilfe zu spät käme und die gewählte Maßnahme das gelindeste Mittel ist. Staatliche Hilfe käme jedoch typischerweise nicht zu spät – sie wäre lediglich zeit- und kostspieliger als die automatische Rückführung der Sache. Smart Contracts, die ein Auto automatisch zur Autovermietung zurückfahren lassen, sind daher rechtswidrig – außer der säumige Mieter hat vorab der automatischen Rückführung zugestimmt. Ob eine derartige Vertragsklausel allerdings einer richterlichen Prüfung unter dem Gesichtspunkt der gröblichen Benachteiligung standhalten wird, ist zweifelhaft.

Heute sind Smart Contracts tatsächlich nur Instrumente zur Unterstützung klassischer Verträge. So wird beim Erwerb eines E-Books ein regulärer Lizenzvertrag geschlossen, der durch ein DRM-System lediglich automatisiert durchgesetzt wird. In dieser Konstellation muss sich der Smart Contract am eigentlichen Vertrag messen lassen; weicht er von diesem zum Nachteil des Kunden ab, liegt grundsätzlich eine Vertragsverletzung vor.

Um die oben genannten Einschränkungen zu umgehen, soll der Smart Contract selbst Vertragsinhalt werden. Insbesondere in der Finanzwirtschaft (Stichwort Fintech) wird fieberhaft an derartigen Modellen gearbeitet. Dies würde bedeuten, dass sich beide Parteien auf einen Vertrag einigen, der aus dem Quellcode eines Computerprogramms besteht. Die Vertragssprache ist somit nicht Deutsch oder Englisch, sondern eine Programmiersprache. Der Quellcode muss sich wie jeder andere Vertragstext am Recht messen lassen. Insbesondere würden von einem Unternehmen standardisiert eingesetzte Smart Contracts einer richterlichen AGB-Kontrolle unterliegen – jene Teile des Quellcodes könnten also nicht Vertragsinhalt werden, die für einen Durchschnittsverbraucher unverständlich sind. Angesichts der geringen Verbreitung von Programmierkenntnissen ein gravierendes Problem.

Harvard-Professor Lawrence Lessig hat schon 1999 die These formuliert, dass Computercode ähnlich dem Recht eine regulative Wirkung haben kann. Smart Contracts sind ein gutes Beispiel dafür, da sie die Entscheidungsfreiheit der Vertragsparteien effektiv einschränken können. Allerdings hat auch Lessig bereits gemeint, dass Computercode das Recht nicht ersetzt, sondern vielmehr von diesem reguliert wird. So unterliegen auch Smart Contracts dem Recht und sind – je nach Sichtweise, leider oder zum Glück – weit davon entfernt, Juristen überflüssig zu machen.


Dr. Lukas Feiler, SSCP CIPP/E, ist Rechtsanwalt bei Baker & McKenzie in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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