Eine Siegeshymne für den Olympioniken

Laufbewerb in Olympia, dargestellt auf einer griechischen Amphore.
Laufbewerb in Olympia, dargestellt auf einer griechischen Amphore.(c) imago
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Mit einer auf die antike Dichtkunst abgestimmten Computertechnologie können Forscher in Chorgesängen und Liedern neue rhythmische Feinheiten entdecken. Sie ergeben ein verändertes Hörbild.

Frenetischer Jubel und zur Schau gestellte Siegesposen der Gewinner sind heute nach sportlichen Wettkämpfen ein vertrautes Bild – aber Siegeslieder, eigens gedichtet und komponiert für Olympioniken? Was sich Goldmedaillengewinner heute vielleicht wünschen, war im antiken Griechenland bei den Panhellenischen Spielen – jene in Olympia waren die bedeutendsten der vier panhellenischen Wettkämpfe – gang und gäbe. So war der Dichter und Komponist Pindur (um 520 bis 446 v. Chr.) einer der Verfasser von Siegesliedern, die von der Stadt des Olympioniken, von seiner Familie oder vom Sieger selbst in Auftrag gegeben wurden.

„Pindur hatte eine relativ komplizierte Lyrik, die sich uns nicht leicht erschließt“, sagt Stefan Hagel, der in der Österreichischen Akademie der Wissenschaft zur altgriechischen Musik forscht. Im Zentrum eines Pindur-Textes stand ein Mythos, der mit der Heimatstadt des Olympioniken oder mit dessen Familie zusammenhing. Stefan Hagel: „Wichtig war die Gnomik, das Festhalten des Glanzes, des Augenblicks des Sieges, abgehoben von der Vergänglichkeit.“

Dichter der griechischen Blütezeit

Die Hymnen und Lieder Pindurs sind freilich nur ein Beispiel aus dem Forschungsprojekt „Rhythmik in der archaischen und klassischen Dichtung Griechenlands“, das vom Forschungsförderungsfonds FWF gefördert und nun abgeschlossen wurde. Im Fokus steht das 5. Jahrhundert v. Chr., mit Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes und eben auch Pindur die Blütezeit der griechischen Dichtung. Sieht man von zwei in Stein gemeißelten Liedtexten ab, sind die meisten Texte in Papyri aufgezeichnet.

Dass man aus den Werken der klassischen griechischen Dramatiker noch Neues herausholen kann, zeigt Hagel mit dem Einsatz der Computertechnologie. Wie der Wiener Gräzist ausführt, konnten mit der Hilfe einer eigens erstellten Software neben dem Formenreichtum der antiken Dichtkunst auch die sprachlichen Feinheiten sichtbar – und hörbar – gemacht werden. Dabei konnte der Wiener Gräzist kleine, doch sprachlich signifikante Unterschiede im Gebrauch verschiedener Lautkombinationen entdecken. Und jene Textstellen, bei denen Pausen einzulegen sind. Dies spielt bei der musikalischen Wiedergabe eine nicht unwesentliche Rolle.

Während in der Metrik vor allem die Abfolge von kurzen und langen Silben den Sprachrhythmus vorgibt, konnte der ÖAW-Forscher bei gesungenen Texten – Chorliedern wie Soloarien der Darsteller – nachweisen, dass die großen griechischen Dichter-Komponisten die Sprachlaute nicht unterschiedslos einsetzten. Stefan Hagel: „Speziell unterlegten sie besonders lange Töne bevorzugt auch mit Silben, die einen durchgehenden Ton tragen können.“ Das führt wiederum zu einem besseren Verstehen der musikalischen Formensprache antiker Tragödien und Komödien.

Eine subtile Ironie wird offensichtlich

Dabei werden auch geschlechtsspezifische Verteilungen sichtbar (Frauenrollen wurden in der klassischen griechischen Zeit freilich von Männern gesungen), ebenso wie das ergänzende Gegeneinander von Chor und Schauspielern. Damit werden neue Interpretationszugänge geschaffen. Jetzt kann man, so Hagel, die vom Dichter gesetzten Kontrasteffekte zwischen den Worten und der Musik erkennen, also eine subtile Ironie, die dem ursprünglichen Publikum noch selbstverständlich zugänglich war.

Die Gesänge wurden im antiken Griechenland hauptsächlich von der Laute und dem Aulos (ein Rohrblasinstrument) begleitet. „Die Griechen kannten unsere heutige diatonische Musik“, sagt Stefan Hagel, „hauptsächlich gab es bei ihnen aber die chromatische Musik.“ Das heißt, es ist keine Abfolge von Ganz- und Halbtönen, sondern eine Reihe von Halbtonschritten, wie wir sie heute nicht kennen. Und auf die sich der heutige Musikliebhaber erst einhören muss. Und auch die Vierteltonmusik haben seinerzeit die Griechen als ihre „spezielle Musik“ empfunden.

Die klassischen griechischen Gesangstexte wurden vereinzelt schon bisher mit moderner Musik vertont und gesungen. Mit dem Abschluss des FWF-Forschungsprojekts kann man aber jetzt an eine neue Musikwiedergabe der griechischen Lieder herangehen. Mehrere derartigen Aufnahmen hat Stefan Hagel bereits vorgenommen und publiziert. In einem gemeinsamen Projekt mit der Middlesex University in London konnte zudem ein Aulos, der in Pompeji gefunden wurde, nachgebaut werden. Dazu war eine eigene, heute nicht mehr übliche Gießtechnik erforderlich.

An das FWF-Projekt schließt thematisch das European Music Archaeology Project (EMAP) an, an dem Hagel beteiligt ist. Dieses untersucht und verbindet die Musik der Antike aus vier Gesichtspunkten: aus jenem der klassischen Philologie sowie der musikalischen, der wissenschaftlichen und der auf die Sinneswahrnehmung bezogenen Perspektive.

Keine olympischen Seriensieger

Zurück zu den Olympischen Spielen der Antike: Seriensieger gab es damals nicht. Dass ein Wettkämpfer bei mehr als einem Spiel den Sieg errungen hat, kam höchstens bei den Musik- und Schauspielwettbewerben im Rahmen der in Delphi ausgetragenen Pythischen Spiele vor. Oder bei den Wagenrennen in Olympia, aber da ging der Lorbeerkranz nicht an den Wagenlenker, sondern an den Besitzer des Gestüts.

LEXIKON.

Antike Dichtung. Während die Regeln der Dichtung zwischen kurzen und langen Silben unterscheiden, verfügt das Altgriechische über verschiedene Formen bei langen Silben. Das ist besonders bei Texten wichtig, die auch gesungen wurden. Mit dem Einsatz einer eigens erstellten Software kann man weitere sprachliche Feinheiten erkennen.

Forschung. Der Wissenschaftsfonds FWF vergab ein auf drei Jahre ausgelegtes Projekt zur Rhythmik der griechischen Dichtung an Stefan Hagel. Der Wiener Gräzist hatte bereits Forschungsarbeiten zur Melodik der griechischen Sprache und zur Modulation altgriechischer Musik verfasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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