Ratz: "Finden der richtigen Strafe ist fast ein künstlerischer Akt"

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OGH-Präsident Ratz über den Sinn des Strafens, warum es nicht seine Aufgabe ist, Täter zu bessern und wieso nach der StGB-Reform untere Schichten stärker belangt werden könnten.

Die Presse: Welchen Sinn hat eine Strafe denn?

Eckart Ratz: Die Strafe ist eigentlich die bewusste Zufügung eines Übels gegenüber dem Straftäter. Sie dient nach heutigem Verständnis Präventionszwecken, also der Spezial- und Generalprävention. Und in diesen beiden Präventionszwecken spiegelt sich die Absicherung der Rechtstreue wieder.

Nun ist die Generalprävention nicht unumstritten. Ist es richtig, dass die Strafe für ein Individuum auch als Zeichen für die Gesellschaft verhängt wird?

Es kommt einmal darauf an, wie man die Spezialprävention definiert. Allein nach dem Gedanken der Spezialprävention könnte man den Unverbesserlichen ohne Strafe davonkommen lassen, weil sie bei ihm nichts nützt. Dann würde paradoxerweise nur der bestraft werden, den man beeinflussen kann. Dieser Gedanke wird aber bereits von Feuerbach (deutscher Rechtsgelehrter, 1775–1833, Anm.)abgelehnt: Der unverbesserliche Rechtsbrecher wird demnach einfach weggesperrt. In diesem Sinn könnte man nun auf die Generalprävention theoretisch verzichten. Doch für die Festigung der Normtreue erscheint sie mir unverzichtbar. Man muss zeigen, dass das Recht zwangsbewehrt ist. Das macht erst den Rechtscharakter aus – im Gegensatz zu ethischen Vorschriften.

Nun wurde etwa der frühere Innenminister und EU-Abgeordnete Ernst Strasser, in dessen Fall Sie auch das letzte Wort hatten, zu einer eher strengen Strafe (drei Jahre unbedingt, Anm.) verurteilt. Glauben Sie, dass dieses Urteil als Warnzeichen dazu führt, dass Politiker künftig von Korruption abgehalten werden?

Ich möchte nicht über konkrete Fälle sprechen. Die Generalprävention lebt auch nicht von Einzelfällen, sie lebt vom Funktionieren des Gesamtsystems. Aber auch, wenn nur einzelne Fälle wahrgenommen werden, wird daraus auf das Gesamtsystem geschlossen. Und wenn Politiker sehen, dass sie bei Beeinflussungsaktivitäten nicht schrankenlos agieren können, sondern dass unter Umständen eine Kriminalstrafe auf sie wartet, dann hält das einen rational denkenden Menschen natürlich von Taten ab.

Ist das also vielleicht der Hauptzweck der Strafe: sicherzustellen, dass das Rechtssystem eingehalten wird?

Ich bin kein Rechtsphilosoph, sondern ein ganz einfacher Praktiker. Und als solcher bin ich der Meinung, dass das Recht in erster Linie auf Durchsetzung abstellt. Wenn ein Rechtsbruch nicht ernst genommen wird, wird das Recht nicht mehr ernstgenommen. Und das wirkt sich natürlich auf das Sozialverhalten der Menschen aus.

Ist die Strafe des Einsperrens eine, die Leuten hilft, auf den richtigen Weg zu kommen?

In den 1970er-Jahren hat man geglaubt, man kann die Leute damit gut resozialisieren. Doch davon ist man in den 1980er-Jahren einigermaßen desillusioniert worden.

Hat sich dieser Gedankenwechsel auch in der Judikatur niedergeschlagen?

Das kann ich so nicht beantworten. Die „richtige Strafe“ gibt es nicht. Es sind typische Ermessensentscheidungen. Man bringt seine Persönlichkeit als Richter ein, und in einer Rechtsmittelinstanz bringen sich mehrere Persönlichkeiten ein. Das Finden der richtigen Strafe ist so gesehen schon fast ein künstlerischer Akt.

Wenn man als Richter jemanden verurteilt und diese Person später wieder straffällig wird, denkt man sich dann: „Dem hätte ich damals besser eine höhere oder andere Strafe geben sollen“?

Mich hat das nie berührt. Ich bin nicht der Wächter der Menschheit, ich bin nicht für das Gemeinwohl verantwortlich. Ich entscheide im Einzelfall nach bestem Wissen und Gewissen und verfolge nicht das weitere Leben des Rechtsbrechers. Ich habe hier keinen sozialarbeiterischen Zugang im Sinn von: Ich muss den Angeklagten bessern.

Zu Jahresbeginn trat eine Strafgesetzreform in Kraft, bei der man auch versucht hat, die Strafdrohungen für die verschiedenen Delikte gerechter zu gestalten. Ist ein faireres Gesetz herausgekommen?

Ich war in der Reformkommission, habe mich aber der Frage der Strafhöhe bewusst entzogen. Am Ende sind das politische Einschätzungen. Ich bin Richter und nicht Politiker. Aber die Idee, man solle für Vermögensdelikte geringere und dafür für Körperverletzungsdelikte höhere Strafen geben, kann man auch ganz anders sehen.

Inwiefern?

Leute, die höher sozialisiert sind, brechen das Recht in der Regel nicht durch körperliche Taten. Wenn Sie mich beleidigen, schlage ich Ihnen nicht ins Gesicht. Ich beleidige Sie stattdessen auf eine ganz subtile Art. Das verletzt unter Umständen mehr, wird aber nicht bestraft. So gesehen kann das Verstärken von Strafen für Körperverletzungen auch dazu führen, dass untere Schichten vermehrt bestraft werden. Einfach strukturierte Menschen haben keine subtile Art der Reaktionsmöglichkeiten.

Ein Klassiker bei der Frage nach Strafe und Gerechtigkeit ist jene, ob ein Mord irgendwann gerechtfertigt sein kann.

Natürlich kann Mord gerechtfertigt sein, bei Notwehr oder im Krieg.

Und abseits der im Gesetz stehenden Rechtfertigungsgründe? Kann ein Tyrannenmord gerechtfertigt sein, auch wenn dieser gesetzlich nicht erlaubt ist?

Wir sind uns wohl einig, dass, wenn das Attentat auf Hitler 1944 gelungen wäre, man das als gerechtfertigt angesehen hätte.

Zur Person

Eckart Ratz (63) wurde 1997 Hofrat des Obersten Gerichtshofs (zuständig für Strafsachen), seit 2012 fungiert der Vorarlberger als Präsident des Höchstgerichts. Er ist Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität Wien. Im Rahmen der Alpbacher Rechtsgespräche trug Ratz vergangene Woche zum Thema „Zur Rationalität des Strafens“ vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2016)

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