Causa Schnizer: Idee der Objektivität durchkreuzt

(c) APA/HERBERT NEUBAUER
  • Drucken

Indem der Verfassungsrichter die Aufhebung der Stichwahl durch den VfGH kommentierte, überformte er subjektiv die Objektivität der Entscheidung.

Graz. Alexander Someks Gastkommentar im letztwöchigen Rechtspanorama wirft wichtige Fragen auf. Und doch erfordern manche Prämissen seiner „Gegenthese“, die politisch-erörternde Äußerungen von Mitgliedern der Gerichtsbarkeit (konkret der Verfassungsgerichtsbarkeit) grundlegend als positiv erachtet, kritische Reflexion.

Selbstverständlich ist Somek in vielem zuzustimmen. Richter sind (was eigentlich keinen Beweis braucht) Menschen und damit von verschiedenen Einflüssen geprägte Individuen mit Überzeugungen und Präferenzen, die sie als Persönlichkeiten auszeichnen. Das macht sie – auch in Ausübung ihrer Funktion – gerade nicht zu jenen Vollzugsautomaten, als die sie nur eine unreflektierte Betrachtung rechtlicher Entscheidungsfindung begreifen könnte.

Das im Hintergrund zu wissen, scheint mir beruhigend. Es in den Vordergrund zu rücken, ja als Abkehr vom obrigkeitsstaatlichen (!) Denken und als Überwindung bloßer Anscheinsneutralität zu preisen, scheint mir problembehaftet. Nicht nur, weil Someks realistische Entzauberung – abseits von Ernüchterung – wenig bietet, an dem man sich auf- und ausrichten könnte, sondern auch, weil sie Gefahr läuft, mit der Neutralität der Richter zugleich die Objektivität ihrer Entscheidung zu relativieren. Freilich nicht Objektivität in einem naiv unkritischen Sinn, sondern als regulative Idee des Rechtsstaats jenseits der akademischen Diskussion.

Bedingung für Rechtsfrieden

Die Rechtsordnung braucht, will sie ihrer Orientierungsfunktion gerecht werden, eben diese regulative Idee von Objektivität nicht nur in ihren abstrakten Normen, sondern auch und insbesondere im konsequenten, folgerichtigen – insgesamt augenscheinlich alternativlosen – Normvollzug durch die entscheidungsbefugten Organe. Das schafft Akzeptanz, nicht nur der einzelnen Entscheidung, sondern der Rechtsordnung insgesamt. Gerade bei – zumal politisch brisanten – Entscheidungen von Höchstgerichten ist das von besonderer Bedeutung, weil deren Finalität eine Gewähr ihrer Richtigkeit immanent ist, die eine Grundvoraussetzung für Rechtsfrieden darstellt.

Das soll nun nicht bedeuten, dass diese Entscheidungen unkritisch zur Kenntnis genommen werden oder nicht im öffentlichen Diskurs hinterfragt werden sollten; im Gegenteil. Aber gerade deshalb muss gelten: Verfassungsgerichtshof – so das treffende Motto des Höchstgerichts – heißt entscheiden. Der Gerichtshof spricht in diesen Entscheidungen. Sobald er das aber tut, emanzipieren diese sich von den Mitgliedern, die sie getroffen haben, partizipieren an der zuvor angesprochenen regulativen Idee von Objektivität und können so erst zum Objekt eines breit geführten öffentlichen Diskurses werden. Wenn aber im Zuge dessen jene, die entschieden haben, als Einzelne aus dem Kollegium, und damit in die Sphäre des Diskurses, treten, wird in diesem Diskurs die Objektivität der Entscheidung unweigerlich von der Subjektivität des Entscheidungsträgers überformt.

Ebendas – so war es zu beobachten – erweist, anders als Somek annimmt, dem Rechtsstaat gerade keinen guten Dienst.


Christoph Bezemek ist Professor für Öffentliches Recht an der Karl Franzens Universität Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.