Wie erzeugt man einen akzeptablen Männerkörper?

Kühl gestylte Männlichkeit. Der legendäre Anzugträger Cary Grant in „The Philadelphia Story“, 1949.
Kühl gestylte Männlichkeit. Der legendäre Anzugträger Cary Grant in „The Philadelphia Story“, 1949.imago stock&people
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Wer auch immer Österreichs Kanzler wird, es steht fest: Zwei der in Frage kommenden Herren fallen auf durch gut geschnittene Anzüge. Es ist zu früh für einen Nachruf auf den klassischen Herrenanzug, für die Verortung in der gesellschaftlichen Hierarchie ist er unabdingbar wie ehemals. Der Homo elegans, sein Anzug, seine Vorgeschichte.

Burgtheater, „Der Kaufmann von Venedig“, 1988. Wer das gesehen hat, wird es nie vergessen: In einem genialen Regieeinfall ließ Peter Zadek seine fiesen und schmierigen Kaufleute im zweireihigen Manageranzug mit Aktenkoffer und Gel im Haar auf die Bühne treten und ihr böses Spiel beginnen. Zadek spielte auf die Wall Street an, Shakespeare aber hat hier – vergessen wir das italienische Ambiente ruhig – seine Zeitgenossen porträtiert, die britischen merchants, die im 17. Jahrhundert ihren Aufstieg erlebten und den einheitlichen Anzug für sich entdeckten.

Die englischen Unternehmer und Kaufleute waren stolz auf ihre neugewonnene gesellschaftliche Position, sie hatten es nicht nötig, durch ausufernde Bekleidung wie die Aristokraten ihre gesellschaftliche Macht zu demonstrieren. Sie hatten eines gemeinsam: das Interesse am Marktgeschehen, sonst waren sie keine ganz homogene Gruppe. Und gerade deswegen suchten sie Gemeinsamkeit durch schlichte, neutrale Kleidung, die den individuellen Erfolg verdeckte und gruppenbildend wirkte. Feudale Kleidung wurde von den modern denkenden Männern nicht mehr akzeptiert, Fleiß, Betriebsamkeit und interests statt Luxus war das Ideal.

Die Männerkleidung wurde einheitlich, sie verlor ihre traditionellen Ausbuchtungen und Weiten, wurde im Schnitt körperbetont und doch bequem, schlicht und uniform. Understatement eben. „Gut gekleidet sein, heißt nicht auffallen!“, so der Dandy George Brummell. Der Gentleman ging in den Club unter seinesgleichen, trennte sich im Privatleben stärker von seiner Ehefrau. Parallel dazu wich in Stil, Stoff und Farbe die Kleidung des Mannes von der graziös-fantasiereichen der Damenwelt ab. Prunkvoller, aber unbequemer Aufwand wurde den Frauen überlassen, die in ihren Salons verblieben und sich den Narreteien der weiblichen Mode zuwenden konnten. 1730 zeigte sich ein französischer Besucher der Insel erstaunt, wie schlicht hier die Männer bekleidet waren. Freilich: Die Stoffe waren überaus fein und edel, sie waren aus Wolle und Baumwolle, nicht mehr aus Seide, Samt oder Brokat, doch die distinguierte Vornehmheit des Adels wurde durch die Stoffwahl nachgeahmt.

Und Frankreich? Hier wurde der König viel später geköpft als bei den Briten, das feudale Gewand dominierte länger. In der Revolution 1789 wurden lange Hosen und ungepuderte Haare zum öffentlichen Bekenntnis, spätestens ab 1792 büßte man das Tragen der höfischen Kniehose (Culotte) mit dem Schafott. Die langen Hosen verschafften den Sansculotten ihren Namen. Der Adel verlor seine Privilegien, so wurde seine Kleidung nicht mehr anerkannt, man suchte ein bescheidenes und doch edles, dem Körper gemäßes Gewand anstelle der „lächerlichen, unbequemen und verrückten Kleidung“.

Graue Puritaner.
Der Herr im Anzug, der Bourgeois im schlichten dress coat, prägte die kapitalistische Gesellschaft, was Londons Herrenschneider entwickelt hatten, die klassische Einfachheit des modernen Anzugs, wurde mit der Ausbreitung des englischen way of life auch jenseits der Grenzen des Empire mit nur geringfügigen Modifikationen akzeptiert. Schließlich traf man damals in jeder Weltgegend einen englischen merchant. Slim fit war im 19. Jahrhundert noch nicht angesagt, die Anzugjacken, Frack oder Gehrock, waren großzügig geschnitten, sie wurden weitervererbt und sollten auch der nächsten Generation noch passen, allmählich wurden sie taillierter, figurbetont.

Die Bekleidung wirkte nivellierend, im Gegensatz zur Hofkleidung, Uniform oder Zunftkleidung konnte sie jeder tragen, der sie bezahlen konnte. Wo immer sich in der Folge ein kapitalistisches Wirtschaftssystem durchsetzte, traf man auf den schlichten Anzug als uniforme Kleidung. In den USA, wo es nie eine feudale Gesellschaft gegeben hatte, trugen überhaupt alle Männer Anzüge, sie setzten sich schnell als Alltagskleidung durch, wurden zur Uniform der Masse, das wurde durch die billigen Herstellungskosten und die immer niedrigeren Preise möglich. Hat England zwar den Anzug entwickelt, in Amerika wurde seine Produktion radikal modernisiert.

Es gab aber auch Gesellschaften, die sich gegen diese Nivellierung stemmten, in denen die Anerkennung nicht über den Anzug, sondern über die Uniform des Offiziers verlief, etwa in der deutschen, wo sich zunächst keine Bourgeoisie wie in England entwickelte. Deutschland war das Land der Dichter und Denker, so schrieb ein Fürst der Dichter, Goethe, mit seinem Romanhelden Werther den Deutschen die einflussreichste Männerbekleidung auf den Leib. Werthers „Frack“, modern geschnitten und vom englischen Anzug inspiriert, wurde zur Kultkleidung. Im 19. Jahrhundert waren es dann vor allem Militäruniformen und die Uniform der bürgerlichen Berufe, die zur Aus- und Abgrenzung dienten, so unterschied man sich vom Fremden, aber auch vom Arbeiter, der einen Anzug trug. Rangunterschiede wurden in Deutschland nicht wie in England durch die Feinheit des Stoffes markiert, sondern durch Bordüren, Abzeichen.

Durch den Maschineneinsatz in der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu gewaltigen Umwälzungen in der Bekleidungsbranche, die Produktion von Männerkleidung wurde ein wichtiger Motor der industriellen Revolution (Frauen schneiderten ihre Bekleidung noch länger selbst). Anja Meyerrose hat das in ihrem vielbeachteten neuen Buch „Herren im Anzug“ aus wirtschaftshistorischer Sicht präzise herausgearbeitet (siehe Literaturhinweis). Wollten die Schneider, schreibt sie, angesichts der Massenproduktion überleben, mussten sie ins Luxus- und Qualitätssegment wechseln. So kam es zur Ausdifferenzierung des Schneiderhandwerks mit teurer Maßanfertigung für die Upperclass und billiger Konfektionsware, das hat im Wesentlichen bis heute überlebt. Das Merkmal der Maßanzüge: perfektes Aussehen, Sorgfalt der Details, unauffällige Qualität.

T-Shirt und Brioni.
Nur auf den ersten Blick fällt also der Herrenanzug als Kleidungsstück der bürgerlichen Gesellschaft sozusagen aus der Geschichte, weil er sich nicht wandelte, sondern über Jahrhunderte mit Ausnahme weniger Modifikationen gleich blieb. In den 1970er-Jahren ging die Zahl der Anzugträger zurück, doch die verbleibenden Herren in privilegierten Stellungen blieben beim Anzug. Auch heute kann nach Meyerrose daran, „wer wann welche Bekleidung warum trägt, immer noch die weitere Transformation moderner Klassengesellschaften abgelesen werden“. Dress down hat sich in der Oberschicht nicht durchgesetzt. Auch in der Zeit der globalisierten Modetrends markiert der Anzug, egal, ob im Musikverein oder bei der Weltbanktagung, die Stellung ihrer Träger und verortet sie in der gesellschaftlichen Hierarchie, sagt etwas aus über den Job des Trägers, sein gesellschaftliches Umfeld, seinen Stil, sein Selbstbild. Jeder hat Beispiele parat, von Joschka Fischers Auftritt als hessischer Umweltminister im T-Shirt bis zu den Brioni-Anzügen des Sozialdemokraten (!) Gerhard Schröder. Zumindest blieb sich Schröder treu, der Anti-Bürger Fischer konvertierte bekanntlich und passte sich auch äußerlich dem Rollenkleid des Bürgers an ebenso wie Mark Zuckerberg, als er sich bei seinem Treffen mit Papst Franziskus einen dunklen Anzug anzog.

Literatur

Der Anzug als Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft

Die wirtschaftshistorischen Hintergründe kann man ausführlicher in dem überaus stoffreichen Buch von Anja Meyerrose „Herren im Anzug. Eine transatlantische Geschichte von Klassengesellschaften im langen 19. Jahrhundert“ nachlesen. Erschienen 2016 bei Böhlau, 359 Seiten.

Die Autorin liefert keine Modegeschichte, sondern eine anspruchsvolle wirtschaftshistorisch-soziologische Studie über den Herrenanzug: „Die Gründe für die Veränderung liegen in seiner Produktion als Ware.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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