Hat das Auto Zukunft? Ja, aber nicht das eigene

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Mobilitätsforscher Rammler prophezeit eine Revolution bei Nutzung und Antrieb.

Wien. Wenn Stephan Rammler über Verkehr der Zukunft spricht, hat jeder eine Meinung. Der Braunschweiger Professor für Transportation Design forscht, wie sich das Mobilitätsverhalten verändern wird. Da seinen teils provokanten Thesen stets interessante Debatten folgen, lud ihn der ÖAMTC im Rahmen eines Ideenfindungswettbewerbs zur Mobilität der Zukunft nach Wien.

Mit der „Presse“ sprach er über seine Vision vom Automobil. Über sich sagt er: „Ich bin Wissenschaftler, kein Ideologe, auch wenn sich das manchmal so anhört.“ Anders als für manche radikalere Verkehrs-Vordenker stellt das Auto für Rammler nicht die Wurzel allen Übels dar. Schließlich besitzt auch er eines. In einem Zeitalter, in dem Ressourcen und Energie knapper, die Anforderungen an den Umweltschutz höher würden, müsse man die Konzepte der Nutzung jedoch neu denken. Als die zwei großen Treiber sieht Rammler den Elektroantrieb, vor allem die Digitalisierung. Mittels Vernetzung, so seine Prognose, wird es möglich sein, ein Auto faktisch permanent zur Verfügung zu haben, ohne es zwangsläufig selbst besitzen zu müssen. Das Stichwort lautet Share Economy.

Täglich eine Stunde Nutzung

„In Deutschland wissen wir aus Studien, dass das durchschnittliche Auto eine von 24 Stunden am Tag genutzt wird. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das irrational.“ Die Zukunft gehöre Konzepten, bei denen Nutzer zum Beispiel über Smartphones mehrere Autos gemeinsam verwenden. Die Software dahinter könne so schlau programmiert werden, dass man in Sachen Verfügbarkeit kaum Einschränkungen im Vergleich zum eigenen Fahrzeug hinnehmen müsse. In New York habe man bei Taxirouten herausgefunden, dass durch die von Software gesteuerte Disposition bis zu 60 Prozent aller Wege, verursacht durch Leerfahrten, vermieden werden könnte.

Rammler gesteht ein, dass diese Konzepte in dünn besiedelten Gebieten eingeschränkt wirksam seien. Deshalb werde das eigene Auto auf dem Land auch künftig eine Rolle spielen. Eine kleinere. Denn auch hier könne es mithilfe von Digitalisierung zu einer kleinen Revolution kommen. Diese würde vor allem den vergleichsweise ineffizienten Verkehr mit Bussen betreffen. Statt großer, gähnend leerer Fahrzeuge würden kleine, mit Algorithmen getaktete und geroutete Sammelfahrzeuge die Rolle übernehmen.

Die größten Hemmnisse für die Verdrängung des Verbrennungsmotors durch den Elektroantrieb seien fehlende Ladeinfrastruktur und der Preis. Beide Probleme seien vergleichsweise einfach in den Griff zu bekommen. So hätte es der Staat in der Hand, Elektrofahrzeuge bei größeren Beschaffungen zu bevorzugen. Derartige Maßnahmen seien dazu geeignet, eine Kostensenkungsspirale in Gang zu setzen, die Elektroautos schnell leistbar machen würden. Ein weiterer Hebel zur Förderung von Elektromobilität müsse staatliches Regulativ sein. „Man kann auch von Zuckerbrot und Peitsche sprechen“, sagt Rammler. Damit meint er einerseits großzügige Förderprogramme und Alternativangebote wie öffentlichen Verkehr, andererseits auch ausdrückliche Strafsteuern für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren.

Lob für Wien

Dabei ortet Rammler auch im Fahrrad Potenzial, weil sich die bisherige Unterstützung der Politik in engen Grenzen gehalten habe. „Dieses Verkehrsmittel erfindet sich gerade zum zweiten Mal neu, technologisch und auch kulturell.“ Ausdrückliches Lob spendet der Wissenschaftler der Wiener Verkehrspolitik. Die Stadt werde diesbezüglich gemeinsam mit Kopenhagen, Amsterdam und Stockholm, „als eine der fortschrittlichsten Städte überhaupt“ wahrgenommen.

ZUR PERSON

Stephan Rammler(Jg. 1968) ist Mitbegründer des Instituts für Transportation Design an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig. In seiner Forschung über Mobilität der Zukunft betrachtet er das Thema gesamtheitlich, bezieht Kategorien wie Ressourcen, Energie, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Veränderungen ein. [ privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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