Belvedere: Jedem ein Biederling und Waldmeier

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Amerling und Waldmüller sind die Namen, die man gemeinhin mit „Biedermeier“ verbindet. Im Unteren Belvedere wird jetzt behauptet, dass diese Bezeichnung uns hindert, seine internationale Bedeutung wertzuschätzen.

Ist das Biedermeier?“ Den Titel ihrer Ausstellung kann Kuratorin Sabine Grabner selbst nicht beantworten. Sie will auch gar nicht, sondern stellt die Gegenfrage: „Was will das Publikum als Biedermeier sehen?“

Natürlich ist dieser Begriff ein Konstrukt, das auf der fiktiven Figur des schwäbischen Dorflehrers Gottlieb Biedermaier beruht, den ein Münchner Arzt und ein Jurist erfanden und ab 1855 in den satirischen „Fliegenden Blättern“ dichten ließen. Aufs Korn genommen wurde der vorsichtige, zögerliche, auf das Häusliche beschränkte Spießbürger, geprägt in der Zeit von 1814 bis zur Revolution 1848. Die Kunst dieser Zeit wird ebenfalls unter diesem wenig wertschätzenden Begriff subsumiert, die angewandte Kunst betraf das vor allem. 2007 rückte die Albertina zur großen Ehrenrettung der gepolsterten Möbel und des geblümten Geschirrs aus und proklamierte den Beginn der Moderne in diesen Entwürfen: „Die Erfindung der Einfachheit“.

Jetzt will das Untere Belvedere die Malerei von „Waldmüller, Amerling und mehr“ aus dem Sumpf holen, den man dachte, schon längst trockengelegt zu haben, betrachtet man etwa die Preise, die heute für rosenwangige Amerling-Kinder und Waldmüller'sche Sonnendurchflutungen gezahlt werden. Aber Kuratorin Grabner wünscht sich mehr als bloße Anerkennung von Qualität, sie möchte etwa statt des vergleichsweise hinterwäldlerisch münchnerischen Biedermeiers für die Wiener Kaiserstadt die „Nestroy-Zeit“ ausrufen. Und stilistisch bevorzugt von Klassizismus, Romantik und Naturalismus sprechen.

Es sind schließlich die das Private, Bürgerliche betonenden Inhalte, die die Maler verbinden – und zwar über die historisch mit 1848 begrenzte Biedermeier-Zeit um etwa 20 Jahre hinaus. Und über Landesgrenzen hinweg. Das ist die stärkste Botschaft dieser 100 Gemälde (und Möbel) reichen Ausstellung: Was wir als Biedermeier-Malerei verstehen, das war ein monarchieweites Phänomen. Die Wiener mögen zwar qualitativ und thematisch führend gewesen sein – Amerling etwa erfand die Genre-Einzelfigur, so Grabner –, erreichte keiner die unfassbar herbe Realität eines Waldmüller'schen Familienporträts. Aber es gab daneben eine ungeahnte Fülle anderer Charismatiker: Ernst Christian Moser etwa, dessen Porträt der eigenen Mutter aussieht wie Neue Sachlichkeit fast 100 Jahre später. Giuseppe Molteni, der italienische Freund von Netzwerker Amerling, dessen um den toten Geliebten „Trauernde“ aus einem Fellini-Film stammen könnte. Johann Baptist Reiter, dessen Porträt der Gastwirtin Barbara Meyer von 1836 wirkt, als sei es nach einem Foto der überschminkten Cindy Sherman gemalt. Der Italiener Francesco Hayez, dessen Bildnis der mächtigen Frau Schnauss in ihrem brautschleierartigen Überwurf sowieso ein Highlight ist. Genauso wie die weiten, menschenleeren Landschaften des Tschechen Bedřich Havránek, die von der Prager Nationalgalerie nur herausgerückt wurden, weil sie hier neben Waldmüllers Landschaftspoesien zu hängen kommen.

Eine bürgerliche Venus? Unerhört!

Schaut alles rosig aus? Die gesellschaftlichen Tiefen der Zeit kann man ausloten, wenn man sich überlegt, warum das lebensgroße Aktbild der Tänzerin Carlotta Chabert 1830 ein Skandal war: Nein, nicht wegen der Nacktheit. Sondern weil Hayez sie mit den Füßchen im Wasser, also als dem Meer entsteigende Venus porträtierte – und das war einer Bürgerlichen nicht angemessen. Dafür durfte Frau schon bildfüllend schmollen, die Emanzipation begann damals sachte mit der Aufwertung des Häuslichen und der Mutterrolle (hier hat auch der Stillterror seine Anfänge): Ernst Christian Moser zeigt in „Die Versöhnung“ sozusagen den Beginn von Brangelina, der Ehekrise zwischen zwei vermeintlich gleichberechtigten Partnern – Gattin in Rosa schmollt, Gatte im Hausrock schaut böse, die Kinder und ein Einflüsterer versuchen zu vermitteln.

Zeitgenössische Beispiele für dergleichen Biedermeierlichkeiten sind Besucher aufgefordert zu fotografieren und unter #dasistbiedermeier in den sozialen Medien des Belvederes zu posten, sozusagen den „Fliegenden Blättern“ von heute.

Bis 12. Februar, tägl. 10–18 h, Mi bis 21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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