Sturz über Paprika: Wann das Hotel haftet

geschnittenes Gemüse / cut vegetable
geschnittenes Gemüse / cut vegetable(c) Helma Spona / United Archives / (Helma Spona)
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Ein neuer Beschluss des Obersten Gerichtshofs zeigt, wo die Verkehrssicherungspflichten von Hotelbetreibern enden und wie weit die Eigenverantwortung der Gäste reicht.

Noch steht nicht bis ins Letzte fest, wie sich das Unglück zugetragen hat, sondern nur so viel: Als eine Urlauberin sich am Frühstücksbuffet im Hotel bedienen wollte, rutschte sie, den Blick auf die dargebotenen Speisen gerichtet, auf einem Stück grünem Paprika aus. Das war zuvor – nicht ihr – auf den Boden gefallen. Sie stürzte in ihren Stiefeletten mit Drei-Zentimeter-Absätzen, fiel rücklings hin und verletzte sich: so schwer, dass sie den Reiseveranstalter auf Zahlung von Schmerzengeld klagte. Der Oberste Gerichtshof (OGH) stellte nun klar, unter welchen Voraussetzungen die Frau mit wie viel Schadenersatz rechnen kann. Maximal wird sie die Hälfte ihres Schadens – von ihr mit insgesamt 21.000 Euro Schmerzengeld und 1860 Euro für eine Haushaltshilfe angegeben – erhalten.

Ganz kann und will die Frau ihre eigene Verantwortung für das Missgeschick ohnehin nicht leugnen. Sie klagte vorsichtshalber nur zwei Drittel ein, und zwar beim Reiseveranstalter, der für das Hotel als seinen Erfüllungsgehilfen haftet. Die Klägerin warf dem Betreiber vor, den Boden vor dem Buffet weder kontrolliert noch gereinigt zu haben. Er erwiderte, dass der Gast in dieser Situation stets mit einer gewissen Rutschgefahr rechnen müsse und daher vor seine Füße schauen solle. Schuld sei also allein die Frau.

Unmittelbar vor dem Unfall

Das Handelsgericht Wien teilte diese Einschätzung: Nach seinen – wie sich später herausstellen sollte – umstrittenen Feststellungen sei das Paprikastück kurz vor dem Unfall auf den Boden gefallen. Die Mitarbeiter des Hotels seien schuldlos, die Frau hätte selbst aufmerksamer sein sollen. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte dies im Ergebnis, ging allerdings auf eine Beweisrüge der Klägerin nicht ein: Die Frau hatte gemeint, im Beweisverfahren Hinweise dafür erkannt zu haben, dass das Stück Gemüse schon auf dem Boden gelegen sei, als ein Kellner zur Kontrolle vorbeigegangen sei. Für das OLG hätte aber auch dies keinen Sorgfaltsverstoß begründet. Obwohl der Unfall nicht passiert wäre, hätte der Mitarbeiter den Paprika aufgehoben oder zu Seite geschoben, sei das Paprikastück jedenfalls erst sehr kurz auf dem Boden gelegen. Der Betrieb habe daher seine Verkehrssicherungspflichten nicht verletzt.

Vor diesem Hintergrund sah sich der OGH veranlasst, die Rechtslage klarzustellen. Wie weit reicht also die Pflicht von Geschäftsinhabern, ihr Lokal in verkehrssicherem, gefahrlosem Zustand zu erhalten und alle erkennbaren Gefahrenquellen auszuschalten? Der OGH erinnert an die Grenze, die in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr liege. So sprach er Lebensmittelgeschäfte von einer Haftung frei, in denen Kunden bei der Obst- und Gemüseselbstbedienung mal auf einer einzelnen Weinbeere, mal auf einem Salatblatt ausgerutscht waren. In beiden Fällen hätte der Gerichtshof für übertrieben gehalten, eine permanente Kontrolle des Bodens zu verlangen.

Nun hielt zwar auch der OGH, wie die zweite Instanz, die Lage vor dem Frühstücksbuffet für vergleichbar mit jener im Supermarkt. Doch in jener Situation, die das Oberlandesgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hatte, sei die Verkehrssicherungspflicht sehr wohl verletzt worden. Sollte ein Kellner vorbeigekommen sein und ein gut erkennbares Paprikastück nicht entfernt haben, obwohl ihm dies zumutbar war, so wäre diese Fehlleistung dem Hotel und mittelbar dem Reiseveranstalter zurechenbar.

„Vor die Füße schauen“

Dabei wäre allerdings zu berücksichtigen, „dass jeder Fußgänger beim Gehen ,vor die Füße schauen‘ und der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuwenden muss“, wie es der OGH ausdrückt. Also wäre der Frau vorzuwerfen, vor dem Sturz nicht auf den Boden geachtet zu haben. Folge: Das Verschulden läge zu gleichen Teilen auf beiden Seiten.

So sicher ist aber auch das nicht, denn der Hergang des Unfalls ist ja noch nicht endgültig geklärt. Die zweite Instanz muss sich mit der Beweisrüge der Klägerin befassen, letztlich also mit der Frage, ob das Personal die Gefahr hätte erkennen und beseitigen müssen. Sollte jedoch herauskommen, dass der Paprika wirklich erst kurz vor dem Sturz seinerseits abgestürzt war, dann könnte dem Hotel kein Vorwurf gemacht werden: „Eine durchgehende Überprüfung und Reinigung des Bodens vor dem Frühstücksbuffet, die die sofortige Entfernung von jeglichen Essensresten vom Boden gewährleistet, wäre eine Überspannung der Sorgfaltspflichten eines Hotelbetreibers“, so der OGH (1 Ob 158/16s).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2016)

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