Warum das „Schlafmittel“ aus der Hofburg fehlt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wenngleich das Land ohne Bundespräsidenten zu funktionieren scheint, wollen Experten nicht auf ihn verzichten. Man brauche seine Arbeit im Hintergrund und wolle einen zu mächtigen Kanzler vermeiden.

Wien. Seit 8. Juli ist Österreich ohne gewählten Bundespräsidenten. Aber geht uns dieser ab? Man merke schon, dass ein Staatsoberhaupt fehle, meinte Bruno Aigner, der Heinz Fischer als Sprecher durch die Amtszeit in der Hofburg begleitet hatte. Man merke es etwa daran, „dass der Bundespräsident in den Medien nicht vorkommt“. Und „es ist ein Stillstand eingetreten in der Präsidentschaftskanzlei“, in der 75 Personen beschäftigt sind, berichtete Aigner beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum.

Man arbeite dort momentan „in slow motion“, meinte Aigner, nicht ohne hinzuzufügen, dass man wenige Mitarbeiter in der Hofburg habe, zumal Italien 1200 Personen in der Präsidentschaftskanzlei benötige. Dass Österreich einen Bundespräsidenten braucht, steht für Aigner ohnedies außer Frage. „Es passiert viel hinter den Kulissen, was in der Öffentlichkeit nicht gesehen wird“, berichtete er aus dem einstigen Alltag. Außenpolitische Diplomatie etwa, aber auch innenpolitische Schlichtungsversuche stünden auf dem stets vollen Terminkalender des Staatsoberhaupts.

Könnte man aus verfassungsrechtlicher Sicht ohne Bundespräsidenten auskommen? Man brauchte dann jemanden, „der dessen ganze Arbeit macht“, betonte Ewald Wiederin, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien. „Und das ist doch eine Menge.“ Jemand müsse die Regierung ernennen oder entlassen, Staatsverträge abschließen oder Richter ernennen. Wenn man all diese Aufgaben dauerhaft auf die drei Nationalratspräsidenten übertrage, werde es wohl kompliziert, zumal drei Leute Entscheidungen schwerer fällen als eine Person.

Wer sollte die Hofburg ersetzen?

Und wenn man die Kompetenzen des auch gern als „Ersatzkaiser“ titulierten Bundespräsidenten auf den Kanzler übertragen würde? „Dann schaffen wir nicht einen ,Kaiser‘ ab, sondern handeln uns eher einen ein“, meinte Wiederin mit dem Blick auf die daraus resultierende Machtfülle für den Regierungschef. Also sei ein eigenes Organ abseits von Kanzler und Parlamentspräsidium durchaus sinnvoll. „Und das kann man ja dann gleich Bundespräsident nennen.“

Dass ein Bundespräsident außenpolitische Macht hat, zeigte sich bei der Debatte um das Freihandelsabkommen Ceta, das beide Stichwahlkandidaten kritisch sehen. Die Koalition hat sich auf dieses aber bereits verständigt. Doch was, wenn ein Bundespräsident Ernst macht und das Abkommen nicht unterfertigt? „Es gibt keine Verpflichtung, Ceta zu ratifizieren“, sagte Ursula Kriebaum, Professorin am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Uni Wien. Völkerrechtlich betrachtet sei der Präsident vor allem Staatsoberhaupt. Und als solches könne er außenpolitisch entscheiden, wie er wolle – unabhängig von etwaigen innenpolitischen Konsequenzen.

Wobei auch Letztere überschaubar wären. Wenngleich die Rechtslage strittig sei, gehe die Staatspraxis davon aus, dass es Sache des Bundespräsidenten ist, ob er einen Staatsvertrag abschließen will, berichtete Wiederin. Das Parlament könnte zwar damit drohen, eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten anzusetzen. Nur ist das nicht ohne: Denn gewinnt das Staatsoberhaupt die Abstimmung, gälte der Nationalrat als aufgelöst, und es gäbe Neuwahlen.

In der Praxis kein starker Präsident

„Die bisherigen Bundespräsidenten haben sich so verhalten, als wären sie schwache Präsidenten“, resümierte Wilhelm Brauneder, emeritierter Professor für Rechtsgeschichte und früherer Dritter Nationalratspräsident (FPÖ). Einzige Ausnahme: ihr Auftreten rund um die Ernennung der Regierung.

Auch Brauneder glaubt nicht, dass die Kompetenzen der Hofburg in Gefahr sind. „Wenn man an der Stellung des Bundespräsidenten etwas ändern möchte, müsste man vieles an der Verfassung ändern. Was bedeutet, dass man sich nicht darauf einigen wird“, meinte er. Falsch sei es übrigens, wenn wie zuletzt im Wahlkampf die Machtfülle des Bundespräsidenten mit jener in der Weimarer Verfassung gleichgesetzt werde. Denn der Bundespräsident könne nie allein mit Notverordnungen regieren. Diese dürfe er nur auf Antrag der Bundesregierung erlassen. Und die hat ihren Vorschlag im Einvernehmen mit dem vom Hauptausschuss des Nationalrates einzusetzenden ständigen Unterausschuss zu gestalten.

Bleibt das Problem, dass Ansprachen von Bundespräsidenten eine schlaffördernde Wirkung nachgesagt wird. Darin sieht Jurist, Volkswirt und Soziologe Manfred Prisching von der Universität Graz aber kein Problem. Im Gegenteil: „Der Bundespräsident ist nicht dafür da, dass er dynamisch wirkt“, sagte Prisching. Das Staatsoberhaupt solle sich nicht ins politische Alltagsgeschäft einmengen, sondern eine Autorität darstellen. Man lebe ohnedies schon in einer Zeit der Unsicherheit. „Und da ist es gar nicht so übel, Vertrauen oder auch ein bisschen Langeweile zu schaffen.“ Denn selbst „wenn der Bundespräsident ein Schlafmittel ist, hat auch dieses Schlafmittel eine Funktion“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2016)

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