Ermöglicht VfGH mehr Parteianträge?

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Erneut beschäftigt eine Ausnahme von der "Gesetzesbeschwerde" den Verfassungsgerichtshof. Ein Argument wurde dabei bisher übersehen.

Innsbruck. Seit 2015 können Parteien in zivil- oder strafgerichtlichen Verfahren, die eine Norm für verfassungswidrig halten, den Verfassungsgerichtshof anrufen. Der einfache Gesetzgeber kann einen solchen Parteiantrag dann für unzulässig erklären, wenn „dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist“. Der VfGH will das Wort „erforderlich“ im Sinn von „unerlässlich“ ausgelegt haben.

Von der Befugnis zum Ausschluss des Parteiantrags auf Normenkontrolle hat der (einfache) Gesetzgeber regen Gebrauch gemacht. Eine nicht unbeträchtliche Zahl dieser Ausnahmen wurde zwischenzeitlich vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben, dies vor allem im Bereich des Wohnrechts. Die betreffenden Ausnahmen seien nicht unerlässlich, um den Zweck aller (!) dort erwähnten Verfahren zu sichern. Dieses Argument wird auch im laufenden Gesetzesprüfungsverfahren über den Ausschluss des Parteiantrags im Insolvenzverfahren (G 361, 362/2016)ausschlaggebend sein.

Nicht aufgehoben wurden, weil nach Ansicht des VfGH tatsächlich „zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens“ unerlässlich, der (einfachgesetzliche) Ausschluss des Antrags auf Normenkontrolle im Exekutionsverfahren und im Verfahren betreffend einstweilige Verfügungen (VfGH G 537/2015, G 665/2015).

Wirksamkeit bleibt gesichert

Dies erstaunt: Sowohl im Exekutionsverfahren als auch im Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (eV) sind die erstinstanzlichen Entscheidungen (und nur aus Anlass einer solchen kann ein Parteiantrag auf Normenkontrolle gestellt werden) vorläufig vollstreckbar, weil die Rechtsmittel des Rekurses und des Widerspruchs (Letzterer gegen einstweilige Verfügungen) grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit (Wirksamkeit) der erstinstanzlichen Entscheidung wird aber durch einen Antrag auf Normenkontrolle nicht beeinträchtigt (§ 528b Abs 2, letzter Satz, ZPO).

Der „Zweck des Verfahrens“, also die rasche Durchsetzung der Entscheidungen, würde also durch einen solchen Antrag nicht vereitelt werden, weil ungeachtet eines solchen Antrags der bekämpfte Beschluss ausgeführt werden kann und muss. Daraus folgt aber, dass die Ausnahmen für das Exekutionsverfahren und das eV-Verfahren nicht von der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gedeckt sind, den Parteiantrag auszuschließen. Hätte der VfGH diesen maßgebenden Grund beachtet, hätte dies zur Aufhebung auch der Ausnahmen für Exekutionsverfahren und für das Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen wegen Verfassungswidrigkeit führen müssen.

Lediglich im Schadenersatzverfahren aufgrund einer zu Unrecht erlassenen einstweiligen Verfügung– ein solches lag dem VfGH-Erkenntnis G 665/2015 tatsächlich zugrunde – hat der Rekurs von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung. Insoweit ist dem VfGH im Ergebnis zuzustimmen, wenn er eine dieses spezifische Verfahren betreffende Ausnahme für gerechtfertigt halten würde.

Dr. Bernhard König ist o. Univ.-Prof. im Institut für Zivilgerichtliches Verfahren der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2016)

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