Ein wenig darf diskriminiert werden

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AUFNAHMETEST F�R DAS MEDIZINSTUDIUM(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Medizinerquote, Maut, Kinderbeihilfe, Entsenderichtlinie – in Brüssel hat ein Umdenken eingesetzt. Das Gleichbehandlungsprinzip des EU-Binnenmarkts wird großzügiger ausgelegt.

Brüssel. Dass die Gleichheit zu den Grundwerten der EU zählt, ist im Artikel 2 ihres Gründungsvertrags festgehalten. Auf diesem Grundwert basiert auch das Prinzip der Nichtdiskriminierung der EU-Bürger im europäischen Ausland und im gemeinsamen Binnenmarkt. Doch spätestens seit dem erfolgreichen EU-Austrittsreferendum in Großbritannien hat in Brüssel ein Umdenkprozess eingesetzt. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge ist offenbar dazu bereit, etwas Ungleichbehandlung zuzulassen, um das politische Klima innerhalb der Union wieder zu verbessern.

Jüngste Indizien dafür, dass man sich für die Idee einer Union der kleinen Unterschiede erwärmen kann und das Gleichbehandlungsprinzip großzügiger auslegen will, kommen aus Österreich und Deutschland. So will die Kommission Österreich offenbar nicht dazu zwingen, die Quotenregelung für EU-Ausländer beim Medizinstudium abzuschaffen. Die offizielle Entscheidung diesbezüglich ist noch nicht gefallen – sie wird bis Jahresende erwartet –, doch einem Bericht des „Kurier“ zufolge ist die Kommission zu der Einsicht gelangt, dass die Quote gebraucht wird.

Österreich vergibt seit 2006 lediglich 25 Prozent der Medizinstudienplätze an ausländische (vor allem deutsche) Studenten. Die Kommission beanstandete diese Regel mit der Begründung, Diskriminierung von EU-Ausländern sei unzulässig, setzte sich aber eine Entscheidungsfrist bis Ende 2016. Doch offenbar konnte Wien plausibel nachweisen, dass die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens ohne Restriktionen nicht möglich wäre, weil sonst zu viele deutsche Jungärzte nach ihrem Studienabschluss Österreich den Rücken kehren würden.

Freie Fahrt für deutsche Bürger

Während bei der Medizinerquote die Entscheidung zugunsten Österreichs ausfallen dürfte, fiel das Urteil zur deutschen Pkw-Maut zugunsten Berlins aus. Trotz teils heftiger Kritik aus Österreich und den Niederlanden (siehe unten) darf die deutsche Regierung ein an die Kfz-Steuer eng gekoppeltes Vignettensystem einführen, das ausschließlich ausländische Benutzer der deutschen Autobahnen belastet. Eine Maut für EU-Ausländer war das Wahlversprechen der bayerischen CDU-Schwesterpartei CSU.

Auch in der Sozialpolitik ist man nun dazu bereit, Ungleichbehandlung zu tolerieren. Den Startschuss dazu gab der ehemalige britische Premier David Cameron, der im Vorfeld des (verlorenen) Brexit-Referendums einige Zugeständnisse für sein Land herausholen konnte. Dazu zählte unter anderem die Möglichkeit, Familienbeihilfe für Kinder, die nicht in Großbritannien lebten (sondern beispielsweise in Polen oder Rumänien), an die dortigen Lebenshaltungskosten anzupassen. Zwar votierten die Briten trotzdem für den EU-Austritt, doch das ausgehandelte Zugeständnis soll auch für den Rest der Union gelten. Die Kommission will einen entsprechenden Gesetzesvorschlag im Rahmen einer umfassenderen Reform der Koordinierung der Sozialsysteme vorlegen.

Während es bei der Familienbeihilfe darum geht, die ins EU-Ausland überwiesenen Beträge zu senken, zielt die ebenfalls anstehende Novelle der Entsenderichtlinie auf das Gegenteil ab: Für entsandte EU-Ausländer sollen künftig gleiche Regeln hinsichtlich Entlohnung gelten wie für inländische Arbeitnehmer – bis dato konnten Unternehmen von einem Lohngefälle zwischen Ost- und Westeuropa profitieren. Einer Beschwerde der osteuropäischen EU-Mitglieder, die Umsetzung der Richtlinie würde sie wirtschaftlich benachteiligen, erteilte Sozialkommissarin Marianne Thyssen im Sommer eine Absage: „Der Binnenmarkt ist nicht dafür da, ein Wirtschaftsmodell zu etablieren, das nur auf der Basis von niedrigeren Löhnen aufgebaut ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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