Ab ins Archiv mit dem "Schriftleiter"

(c) BilderBox - Erwin Wodicka
  • Drucken

So manche juristische Zeitschrift verwendet anstelle des "Redakteurs" ein Wort, das an die sprachliche "Säuberung" durch die Nationalsozialisten erinnert.

Wien. Wissen Sie, was ein Viertopfzerknalltreibling ist, oder besser: sein sollte? Die Eindeutschung von Vierzylindermotor durch die Nazis. Derlei war, wie man lesen kann, sogar dem Führer zu viel. Würde man nun sagen, dem Führer schon, aber nicht den ehrwürdigen „Juristischen Blättern“ (JBl), wäre das natürlich völlig unzulässig, weil polemisch und übertrieben, und natürlich kommt dort der Viertopfzerknalltreibling nicht vor. Aber mit der Eindeutschung hat es diese wie manch andere juristische Zeitschrift. Und das ist doch ein Thema, das nicht als Kuriosum abzuhandeln ist; hier geht es um historisches Marschgepäck, dessen man sich endlich entledigen sollte.

Also, wenn nicht um den Viertopfzerknalltreibling – worum geht es dann? Um die „Schriftleitung“ bzw. den „Schriftleiter“. Mit diesen guten deutschen Bezeichnungen ersetzte das Reichsschriftleitergesetz am 1. Jänner 1934 die bis dahin traditionellen Begriffe „Redaktion“ bzw. „Redakteur“. Im Vordergrund dieses Gesetzes stand allerdings nicht die sprachliche Säuberung, es stellte die Arbeit der Medien in den „Dienst am Volk und Staat“. Berufserlaubnis hatte nur, wer in die Berufsliste des Reichsverbandes der deutschen Presse aufgenommen wurde. Juden waren grundsätzlich von der Berufsausübung ausgeschlossen, etwa 1300 Journalisten verloren mit diesem Gesetz ihre Arbeit. Zur Aufnahme in die Liste musste ein Lehrgang mit Prüfung zum Schriftleiter absolviert werden.

Bestellte Inhalte der Zeitung

Dem Schriftleiter war der Hauptschriftleiter vorgesetzt, der für die Einhaltung des Gesetzes und den Inhalt der Zeitung verantwortlich war; er unterstand den Richtlinien und Weisungen der Reichspressekammer. Diese war es auch, die der Einstellung oder Kündigung eines Schriftleiters zustimmen musste. In täglichen Reichspressekonferenzen gab das Propagandaministerium detailliert vor, worüber wie zu berichten war, was letztlich die Schriftleiter umzusetzen hatten.

Der Geist dieses Gesetzes lässt sich erahnen, wenn man folgendes Zitat liest: „Da auch das Jahr 1936 keine befriedigende Besserung der Kunstkritik gebracht hat, untersage ich mit dem heutigen Tage endgültig die Weiterführung der Kunstkritik in der bisherigen Form. Anstelle der bisherigen Kunstkritik wird ab heute der Kunstbericht gestellt, an die Stelle des Kunstkritikers tritt der Kunstschriftleiter. Der Kunstbericht soll weniger Wertung als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein.“ So 1936 der Präsident der Reichskulturkammer, Joseph Goebbels, auf deren dritter Jahrestagung.

Selbstverständlich sind die guten alten „JBl“ über jeden Verdacht erhaben, ebenso wie eine noch junge juristische Zeitschrift über den Verdacht der gewaltsamen Eindeutschung, hat doch deren „Schriftleiter“ kein Problem, ein „Editorial“ zu verfassen. Mich reißt es trotzdem jedes Mal, wenn ich diese belasteten Bezeichnungen lese, derer man sich endlich entledigen sollte. Das hat nichts mit Political Correctness, aber einiges mit ganz simpler Hygiene zu tun. Vielleicht hilft ein Zitat von Ludwig Wittgenstein: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Und Sprache hat eben ihre Geschichte bzw. ist ein „Archiv der Geschichte“.


Dr. Thomas Höhne ist Rechtsanwalt in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.