Wann ist die beste Zeit für die besten Entscheidungen?

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Am Morgen denkt man länger nach und entscheidet besser, ganz unabhängig davon, ob man vom Chronotyp her „Lerche“ oder „Eule“ ist. Zumindest ist das beim Blitzschach so.

Dass Morgenstund Gold im Mund habe, mag für etwa ein Viertel der Menschheit stimmen, ein anderes Viertel wird die Spruchweisheit schlicht verschlafen. Das liegt an den Chronotypen: Wir alle werden in einem Rhythmus von etwa 24 Stunden durch den Tag geleitet, durch innere Uhren, Circadian clocks, geeicht werden sie jeden Morgen am Tageslicht. Aber das erblicken nicht alle gleich, zumindest nicht gleich gern, es gibt „Lerchen“, die beim ersten Grau am Himmel die Augen aufschlagen, es gibt „Eulen“, die sich dann lieber noch einmal herumdrehen, es sind je 25 Prozent, der Rest liegt irgendwo dazwischen.

Diese Verteilung muss einen guten Grund haben – „balancierte Evolution“ nennt man es, wenn mehrere Eigenschaften oder Verhaltensweisen in einer Population da sind –, aber geklärt ist kaum, welchen Vorteil die Lerchen haben und welchen die Eulen. Fest steht nur, dass innere Uhren und Chronotyp einander überlagern, analytisch sind sie schwer zu trennen, zudem kommen im Lauf eines langen Tages andere Faktoren.

Wer etwa als Patient partout Antibiotika will, obgleich er keine braucht, sollte seinen Arzt am Nachmittag aufsuchen, dann verschreibt er sie eher, vielleicht aus Erschöpfung. Und wer als Angeklagter vor Gericht steht, der hat Glück, wenn die Verhandlung gleich in der Früh oder nach der Mittagspause stattfindet, im Lauf des Vor- und Nachmittags sinkt die Milde, vielleicht weil der Hunger steigt.

Schwimmer sind am Abend rascher

All das spielt mit, zentral bleiben die Uhren, allerdings sind sie an Leistungen höchst widersprüchlich beteiligt: In Sportarten, in denen der Körper gefordert ist, steigt die Kraft mit der Dauer des Tages. Das fiel zuerst bei Schwimmern auf, die beim Kraulen über 400 Meter um 17.30 Uhr um 3,6 Prozent rascher waren als um 6.30. Im Durchschnitt. Im Detail waren die Lerchen um 12.11 Uhr am raschesten, die Eulen um 19.40: Der Zeitpunkt eines Wettbewerbs kann über Blech und Gold mit entscheiden.

Aber bei einem anderen Sport, bei dem es um die Kräfte des Geistes geht, sieht es anders aus, beim Schach. An dem wollte Mariano Sigman (Buenos Aires) klären, wann man am besten Entscheidungen fällt. Dazu gibt es viele Experimente, aber das Psychologenlabor hat mit dem Alltag wenig zu tun, und bei Beobachtungen des Alltags ist oft schwer zu entscheiden, ob eine Entscheidung gut war. Beim Schach ist das anders, obendrein ist in Datenbanken vieles dokumentiert, etwa im Free Internet Chess Server: Aus dem hat Sigman erfahrene Onlinespieler von Blitzpartien herausgesucht – je über 2000 Spiele mit einem Zeitbudget von je 180 Sekunden – und ihnen einen Lerchen-/Eulen-Fragebogen zugemailt. 94 blieben übrig. An denen zeigte sich ganz erwartungsgemäß, dass Lerchen lieber früh ans Brett eilen, Eulen eher spät.

Aber stärker als der Chronotyp war die Tageszeit: Am Vormittag brauchten die Entscheidungen länger, waren aber besser, bei Lerchen wie Eulen; am Nachmittag fielen sie rascher, aber schlechter (Cognition 24. 10.). Woher das kommt, ist unklar, und wie es den Erfolg beeinflusst, ist es auch. Sigman vermutet, dass es sich ausgleicht, weil beim Blitzschach die Zeit bei langem morgendlichem Nachdenken leicht ausläuft. Wie auch immer, Betreiber von Spielcasinos, die am Abend geöffnet sind, wird der Befund freuen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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