Dritte Piste: Politik gab Entscheidungsmacht ab

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Dass das Bundesverwaltungsgericht Interessen selbst abwog, entspricht seiner Aufgabe. Das Ergebnis muss deshalb aber nicht stimmen.

Innsbruck. Jemanden, der mit der Entstehung der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit nahezu 20 Jahre lang befasst war, müssen viele Reaktionen auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) zur „3. Piste“ in Schwechat verwundern. So wird beklagt, dass sich das BVwG, indem es den Klimaschutz über die wirtschaftlichen Interessen gestellt hat, die mit der Realisierung des Vorhabens verbunden gewesen wären, eine „politische Entscheidung“ angemaßt habe.

Wer noch im Vorfeld der großen B-VG-Novelle 2012 hingewiesen hatte, dass die neuen Gerichte in Interessenabwägungen an die Stelle der weisungsgebundenen Verwaltungsbehörden treten und dadurch politische Entscheidungen auf unabhängige – und politisch nicht verantwortliche – Organe übertragen würden, war eher belächelt worden. Ein solcher Hinweis wurde als überholt abgetan oder als der Versuch, unsachliche und politisch motivierte Entscheidungen von Landeshauptleuten zu decken.

Persönlicher Untergriff

Aber nicht nur eine politische Anmaßung des BVwG wird kritisiert, eine Zeitung verstieg sich sogar zur Aussage, dass zwei „Öko-Hardliner“ und ein „Agrarlobbyist“ die Entscheidung zu verantworten hätten. Das erinnert an Anton Kuh: „Nur nicht gleich sachlich werden! Es geht ja auch persönlich.“

Dass es sachlich auch geht, zeigt die Kritik von Rechtsanwalt Peter Sander im „Rechtspanorama“ vom 13. Februar („Neue Piste? Hier wertet ein Richter!“). Sander erblickt einen Übergriff des BVwG in die Sphäre der von der Behörde zu treffenden Entscheidung: Die Behörde habe abzuwägen, welche der beteiligten Interessen (wirtschaftlicher, agrarischer oder ökologischer Art) überwiegen, das Gericht jedoch habe lediglich zu kontrollieren und nicht selbst zu entscheiden. Das BVwG hätte demnach allenfalls aufheben und zurückverweisen, jedenfalls aber nicht seine eigene Abwägung der beteiligten Interessen an die Stelle jener der niederösterreichischen Landesregierung setzen dürfen.

Diese Auffassung hat für das bis zum 31. Dezember 2013 bestehende Verhältnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) gegenüber den Verwaltungsbehörden volle Gültigkeit, sie verkennt aber den mit dem Inkrafttreten der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit eingetretenen Paradigmenwechsel: Die reformatorisch entscheidenden zwei Verwaltungsgerichte des Bundes und die neun Landesverwaltungsgerichte sind an die Stelle etwa 120 früherer Berufungsbehörden, ob dies nun die Landesregierung, ein UVS oder, wie im Fall der „3. Piste“, der Umweltsenat, gewesen sein mögen, getreten.

Das BVwG darf in der Sache selbst entscheiden, wenn der Sachverhalt feststeht (§ 28 Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG). Wenn er unvollständig ermittelt wurde, darf es die Beweise aufnehmen, wie beispielsweise Gutachten einholen. Voraussetzung ist, dass die Verfahrensergänzung durch das Gericht rascher oder kostengünstiger möglich ist, als wenn dies die belangte Behörde tue. Andernfalls kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Verwaltung zurückverweisen.

Wenn das Verwaltungsgericht aber entschieden hat, das Verfahren selbst zu ergänzen, gehen die Ermessensspielräume der Verwaltungsbehörde auf dieses über. Darauf beruft sich auch das BVwG. Nichts anderes kann gelten, wenn das Verwaltungsgericht Interessen abwägt. Das BVwG ist daher nicht an die Stelle der Politik getreten, sondern hat getan, wozu es vom Gesetz ermächtigt worden ist.

Damit ist keinesfalls gesagt, dass die Interessenabwägung des BVwG rechtskonform ist: Der radikalen Bevorrangung des Klimaschutzes kann man durchaus kritisch gegenüberstehen und es wird spannend, wie der VwGH reagieren wird. Angesichts der Bedeutung und Singularität des Falles wird er die Revision wohl zulassen, also zumindest inhaltlich behandeln.

Zurückhaltung nicht verlangt

Allen Beteiligten war bewusst, dass durch die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit die Verwaltung und die Politik Entscheidungsmacht verlieren würden. Der Bundesverfassungsgesetzgeber hat darauf verzichtet, Regelungen zu treffen, wonach bei Wertungsentscheidungen das Gericht Zurückhaltung üben muss, was zur Kenntnis zu nehmen ist.

Der Gesetzgeber hat der Verwaltungsbehörde eine einzige Möglichkeit gegeben, den Zugriff des Verwaltungsgerichts auf „ihre“ Interessenabwägung einzuschränken: Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG kann die Behörde einer reformatorischen Entscheidung bei der Vorlage der Beschwerde widersprechen, sofern dies das Verfahren wesentlich vereinfacht oder beschleunigt. Ob dieses Kriterium im vorliegenden Fall anzuwenden gewesen wäre, ist müßig zu diskutieren: Die NÖ Landesregierung konnte der reformatorischen Entscheidung nicht widersprechen, da die zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vor viereinhalb (!) Jahren in Geltung stehende Rechtslage in Verfahren vor dem damals bestehenden Umweltsenat einen solchen Widerspruch nicht zuließ.


Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Universitätsprofessor in Innsbruck und Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2017)

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