„Zu wenig kollektiver Rechtsschutz“

Christiane Wendehorst.
Christiane Wendehorst.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Christiane Wendehorst, neu gewählte Präsidentin des European Law Institute in Wien, setzt auf sachorientierte Rechtspolitik ohne Lobbyisten-Einfluss.

Wien. Der kollektive Rechtsschutz mittels Sammelklagen ist in Österreich verbesserungsbedürftig: Diese These vertritt Christiane Wendehorst, Professorin am Institut für Zivilrecht der Universität Wien und neu gewählte Präsidentin des European Law Institute (ELI). Mit der „Sammelklage österreichischer Prägung“, die auf der Abtretung jedes einzelnen Anspruchs zum Zweck der gemeinsamen Durchsetzung beruht, habe man zwar einen Weg gefunden. „Aber da ist noch deutlich mehr wünschenswert und möglich“, sagt Wendehorst im Gespräch mit der „Presse“.

Als Beispiel nennt sie den Bereich des Datenschutzes, wo die Koalition darauf verzichtet hat, ein von der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung fakultativ vorgesehenes kollektives Klagsrecht einzuführen. Die ÖVP lehnt Sammelklagen ab. Dabei wären diese gerade im Datenschutzrecht besonders hilfreich: Weil es für den Einzelnen schwierig sei, Datenschutzverletzungen nachzuweisen, sollte wenigstens auf Rechtsdurchsetzungsebene alles getan werden, um berechtigten Ansprüchen zum Durchbruch zu verhelfen.

Wendehorst räumt allerdings ein, dass es „sehr schwierig“ sein kann, die einzelnen Ansprüche zu „kanalisieren“; auch müsse man vermeiden, dass jede wirtschaftliche Betätigung „von professionellen Sammelklagenanbietern im Keim erstickt wird“.

Italiener stark engagiert

Das Abwägen des Für und Wider ist typisch für die Arbeit des ELI, eines unabhängigen Instituts mit Beteiligung von Wissenschaftlern und Praktikern aus ganz Europa zur Verbesserung der Rechtsqualität in der EU. Es folgt dem Beispiel des 1923 gegründeten American Law Institute. Das Generalsekretariat hat seinen Sitz an der Universität Wien. Wendehorst bemüht sich um ein Gleichgewicht der regionalen Herkunft der Beteiligten; während Italiener, Briten oder Deutsche sich sehr stark im ELI engagieren, ist das Interesse in manchen Staaten Zentral- und Osteuropas noch schwach. Um das Baltikum mehr zu integrieren, findet die Generalversammlung 2018 in Riga statt.

Unabhängigkeit von Partikularinteressen ist für das ELI oberstes Gebot. „Wir versuchen, sehr sachorientiert zu arbeiten“, sagt Wendehorst. „Sobald jemand auftaucht und klar wird, dass er Klienteninteressen oder eine Lobbygruppe vertritt, finden wir schnell Möglichkeiten, die Mitarbeit zu beenden.“

Thematisch erstreckt sich die Arbeit des ELI auf alle Rechtsgebiete, keineswegs nur auf das Zivilrecht. Selbst dort wird allerdings zuweilen deutlich, wie die unterschiedlichen weltanschaulichen Vorstellungen aufeinanderprallen: Während etwa Vertreter aus Polen und Ungarn ein sehr traditionelles Familienbild haben, nehmen Schweden und die Niederlande extrem liberale Positionen ein. (kom)

ZUR PERSON

Christiane Wendehorst, 1968 in München geboren, lehrt seit 2008 Zivilrecht an der Universität Wien. Zuvor war sie Universitätsprofessorin in Göttingen und Direktorin des Deutsch-Chinesischen Instituts für Rechtswissenschaft. Wendehorst ist verheiratet und Mutter von vier Kindern. [ Clemens Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2017)

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