Nudging weder durchsetzbar noch bekämpfbar

Klaviertasten-Look mit akustischer Unterstützung kann zum Stiegensteigen animieren (das Bild stammt aus Hangzhou, China).
Klaviertasten-Look mit akustischer Unterstützung kann zum Stiegensteigen animieren (das Bild stammt aus Hangzhou, China).(c) imago stock&people
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Ein Schubser, englisch "nudge", fällt in keine der bekannten Kategorien von Rechtsformen und -quellen. Sollte er vom Staat manipulativ gebraucht werden, würden deshalb Rechtsschutzinstrumente dagegen fehlen.

Wien. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm hat jüngst entschieden, den diesjährigen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften an den US-amerikanischen Verhaltensökonomen Richard Thaler zu vergeben. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde er vor allem durch sein im Jahr 2008 gemeinsam mit Cass Sunstein verfasstes Werk zum Nudge-Konzept (englisch „nudge“ für Schubser).

Aufbauend auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie, wonach Verhaltensänderungen vielfach bereits durch sanfte Anstöße bzw. Anreize herbeigeführt werden können, soll mithilfe von Nudges das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise beeinflusst werden, ohne dabei auf Verbote und Gebote zurückzugreifen oder ökonomische Anreize zu verändern. Charakteristisch für einen Nudge ist, dass ihm keinerlei Zwangscharakter zukommt und man sich ihm auch entziehen kann („opting out“). Das Nudge-Konzept zielt vielmehr auf die Gestaltung von Entscheidungssystemen ab. Es geht darum, Personen zu einem bestimmten Verhalten anzuregen, das als für das Individuum bzw. die Gemeinschaft „besser“ erachtet wird. Die Wahlfreiheit des Individuums bleibt dabei aber formal unangetastet („libertärer Paternalismus“).

Als besonders einprägsames Beispiel eines Nudges kann etwa das Anbringen des Bilds einer Fliege in Pissoirs angeführt werden, womit die „Treffsicherheit“ deutlich erhöht wird. Untersuchungen zufolge konnten dadurch auf den Herrentoiletten des Amsterdamer Flughafens Schiphol Verunreinigungen um sagenhafte 80 Prozent reduziert werden.

Regierung Obama als Vorreiter

Weltweit befassen sich aber immer häufiger auch Regierungen gezielt mit dem Thema Nudging. Vorreiter war die US-Regierung unter Barack Obama, die 2009 Cass Sunstein zum Leiter des Office of Information and Regulatory Affairs ernannte. Wenig später gründete die britische Regierung das mitunter auch als Nudge Unit bezeichnete Behavioural Insights Team (BIT), bei dessen Aufbau sie maßgeblich von Richard Thaler unterstützt wurde. Zuletzt hat auch in Österreich Ulrich Schuh, Sektionschef im Wissenschaftsministerium, Pläne geäußert, zur Erreichung rechtspolitischer Ziele in Zukunft verstärkt auf Anreizsysteme anstelle von Vorschriften zu setzen.

Die Vorteile von Nudges für Regulatoren liegen auf der Hand: Sie sind einfach in der Umsetzung und verursachen nur geringe Interventionskosten bei gleichzeitig hoher Wirkung. So wurde beispielsweise in Guatemala jenen Steuerpflichtigen, die ihre Steuererklärung für das vorangegangene Jahr noch nicht abgegeben hatten, ein Brief mit dem bloßen Hinweis zugestellt, dass der Großteil der Bevölkerung seine Steuern bezahle bzw. keine Steuern hinterziehe. Dieser leise Appell an das soziale Gewissen führte einer Fallstudie der World Bank Group zufolge zu einem merklichen Anstieg der Steuereinnahmen.

Trotz aller Vorteile ist der Einsatz von Nudges aber auch umstritten. Kritiker befürchten, sie könnten genutzt werden, um staatliche Massenmanipulation zu betreiben. Aus juristischer Perspektive stellt sich daher die Frage, welche Rechtsschutzinstrumente gegen einen Nudge allenfalls zur Verfügung stehen. Zwar ist er definitionsgemäß nichts Normatives und kann auch nicht durchgesetzt werden. Genau darin liegt aber zugleich das Problem: Das österreichische Rechtsschutzsystem knüpft an bestimmte Rechtsformen bzw. -quellen an. Ein Nudge fällt aber in keine der bekannten Kategorien. Bürger wären damit etwaigen staatlichen Manipulationsversuchen (rechts-)schutzlos ausgesetzt.

Verhaltenskodex empfohlen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss empfiehlt daher, einen konkreten Verhaltenskodex für Nudge-Konzepte festzulegen, um auszuschließen, dass Nudges missbräuchlich eingesetzt werden. Freilich wäre ein solcher Verhaltenskodex für sich genommen ein eher zahnloses Instrument. Sollte das Anwendungsgebiet von Nudges daher weiter wachsen, könnte die Einrichtung einer eigenständigen und vor allem unabhängigen Rechtsschutzeinrichtung, die die Einhaltung bestimmter Grundsätze für Nudging-Konzepte amtswegig überwacht, erforderlich erscheinen. Andernfalls droht ein rechtsstaatliches Vakuum.

Bernhard Kreuzberger, LL.M. (WU), ist juristischer Mitarbeiter bei Haslinger/Hagele & Partner Rechtsanwälte GmbH.
bernhard.kreuzberger@haslinger-nagele.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2017)

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