Rechtspanorama am Juridicum: Kein Gang zu Gericht, weil das Vertrauen fehlt?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Zahl der Zivilprozesse sinkt. Eine Ursache könnte sein, dass die Bürger nicht mehr an Gerechtigkeit glauben oder dass Gerichtsgebühren zu hoch sind. Vielleicht ist der Grund aber auch ein viel banalerer.

Wien. Die Zahl der Zivilverfahren bei den Bezirksgerichten geht zurück. Hatte es 2010 noch rund 545.000 gegeben, waren es im Vorjahr nur noch 435.000 Verfahren. Über die Gründe wird bisher gerätselt, doch beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum versuchten Experten, dem Phänomen auf die Spur zu kommen.

„Gibt es einen Vertrauensverlust?“, fragte etwa Gernot Kanduth, Vizepräsident der Richtervereinigung, in den Raum. Es könne ja sein, dass die Leute im TV die Sendung „Schauplatz Gericht“ sehen und sich dann denken, so einen Fall erspare ich mir lieber. Dazu kämen Berichte in Medien über sogenannte Skandalurteile. „Wir tun uns schwer, auf unsachliche Vorwürfe einzugehen“, meinte Kanduth. Denn als Richter habe man nicht auch noch die Zeit, sein Urteil der Öffentlichkeit zu erklären. Faktum sei aber, dass die Prozesse nicht in allen Bereichen zurückgegangen seien. Zwar hätten sich Verhandlungen über Verkehrsunfälle halbiert. „Nicht weniger, sondern mehr geworden sind aber Fälle zu Schadenersatz und Gewährleistung“, meinte der Kärntner Richter.

Eine These, die Petra Leupold, Leiterin der VKI-Akademie und Lektorin für Verbraucherrecht an der Universität Wien, bestätigen konnte. Sie sehe keinen Rückgang bei der Beratung der Konsumenten, sagte sie. 650.000 Beratungsfälle gebe es pro Jahr. Was sich aber geändert habe, sei die Art, wie die Anfragen hereinkommen: So gebe es vermehrt Onlineanfragen.

Wobei nicht jeder bereit sei, zu Gericht zu gehen. Aber sind es die Schlichtungsstellen, die den Gerichten die Kundschaft wegnehmen? Eher nicht. Nur 25 Prozent der Leute, die einen Schlichtungsantrag stellen, würden auch zu Gericht gehen, berichtete Leupold. So wie generell nur jeder Vierte, der in die Beratung komme, den Weg zu Gericht nehmen würde. Möglicherweise hänge das damit zusammen, dass das in etwa auch jener Prozentsatz der Leute ist, die rechtsschutzversichert sind.

Vielleicht liegt es aber gar nicht an den heimischen Umständen, dass die Leute weniger prozessieren wollen. „Der Rückgang ist kein ausschließlich österreichisches Phänomen“, sagte Artur Schuschnigg von der Abteilung für Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich. Auch in Deutschland gebe es etwa einen Rückgang. Schuschnigg ortete durch die sozialen Medien wie Facebook, in denen Konsumenten ihrem Unmut Ausdruck verleihen, einen stärkeren Druck auf Unternehmen, außergerichtlich zu einer Einigung zu kommen. „Denn da kann man tun, was man will. Aber es ist kaum möglich, auch eine grundlose Anschuldigung aus der Welt zu schaffen.“

Fällt hohe Gerichtsgebühr?

Aus dem Publikum kam die Frage auf, ob nicht hohe Anwaltskosten Grund dafür sein könnten, dass Leute weniger um ihr Recht kämpfen. „Wir stehen zueinander im Wettbewerb“, entgegnete Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags. Er empfehle, als Mandant mit dem eigenen Anwalt gut zu verhandeln. Und scherzend: „Guter Rat ist bei uns teuer, dazu kommt noch die Umsatzsteuer.“

Apropos Staatseinnahmen: Wolff forderte eine Höchstgrenze für Gerichtsgebühren. Momentan sind diese nicht begrenzt, was Prozesse sehr teuer machen kann. Zuvor hatte ein im Publikum anwesender Anwalt erwähnt, dass seine Kanzlei gerade versuche, die hohen Gerichtsgebühren vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu bringen und sie dort zu kippen. Denn der Staat nehme mehr ein, als Gerichte kosten, weswegen eine Verletzung des Äquivalenzprinzips vorliege. In der Vergangenheit hatte der VfGH aber diesen Einwand gegen hohe Gerichtsgebühren nicht geteilt.

Ist das schwer verständliche Gesetz der Grund, dass Leute nicht zu Gericht gehen? „Ich glaube, die Komplexität des Zivilprozessrechts schreckt die Menschen nicht ab“, meinte Dekan Paul Oberhammer, Professor für Zivilverfahrensrecht. Und genaue Regeln seien wichtig. Sonst könne der Richter gleich eine Münze werfen und so entscheiden, wer gewinnt.

Dass es nun weniger Inkassofälle gibt, erklärte Oberhammer damit, dass inzwischen vermehrt Käufe im Vorhinein bezahlt werden. „Wie viele Leute haben vor 30 Jahren eine Kreditkarte gehabt?“, sagte er.

Als Schicksal sehen

Ein Problem sieht Oberhammer darin, dass der Zugang zum Recht in Österreich wegen der hohen Gebühren schwer sein könne. „Wir rümpfen alle die Nase über die Amerikaner, dass dort nicht selbstverständlich jeder eine Krankenversicherung hat“, meinte der Dekan. Aber umgekehrt könne auch die Notwendigkeit zu prozessieren schicksalhaft sein. Etwa, weil man selbst geklagt werde. Oder weil man als Unternehmer zum Überleben klagen müsse, weil jemand nicht zahlt. [ Fabry (2) ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2017)

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