Der Freigänger als Gefahr

Auch in Österreich wurde das Vertrauen öfter missbraucht.

Wien (aich). Immer wieder kommt es auch hierzulande vor, dass Freigänger Straftaten begehen oder sogar Menschen umbringen. Allerdings wurde der Staat Österreich dafür noch nie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Rechenschaft gezogen.

Das größte Aufsehen löste der Fall Haas aus. Der Steirer Karl Otto Haas hatte 1973 seine Nachbarin, eine 22-jährige französische Austauschlehrerin, vergewaltigt und durch mehrere Messerstiche ermordet. Das Urteil lautete auf lebenslang, im Gefängnis galt Haas aber als Musterhäftling. Während Außenarbeiten im Jahr 1989 flüchtete Haas aus der Vollzugsanstalt Graz-Karlau. Ein paar Tage später stellte sich der entlaufene Häftling der Gendarmerie. 1991 wurde Haas in die Sonderstrafanstalt Mittersteig in Wien überstellt. Dort gewährte man ihm 1992 die Möglichkeit, einen Wifi-Kurs zu besuchen. Über ein Inserat lernte Haas eine Mutter von vier Kindern kennen. Ihr 13-jähriger Sohn wurde 1993 erstochen aufgefunden, Haas galt als dringend tatverdächtig, zumal er ab diesem Zeitpunkt verschwunden war. Auf seiner Flucht attackierte Haas zwei Wochen später in Tirol auch eine 34-jährige Nonne, sie überlebte schwer verletzt. Bei der darauf ausgerufenen Alarmfahndung wurde der Steirer von der Polizei erschossen.

Als Folge des Falls sollte die Leiterin der Anstalt Mittersteig, eine Psychologin, nach Stein versetzt werden. Sie wehrte sich dagegen vehement und brachte sogar eine (erfolglose) Strafanzeige gegen den damaligen Justizminister Nikolaus Michalek wegen Verleumdung ein. Dieser hatte Kritik an ihr geübt. Schlussendlich quittierte die Psychologin ihren Dienst für die Justiz komplett.

Häftling wollte seine Mutter töten

Im Jahr 2002 wollte ein Häftling in Niederösterreich seinen Freigang nutzen, um seine Mutter umzubringen. Sie hatte den Sohn mehrfach wegen dessen Lebensweise gerügt. Der 41-jährige Häftling beging die Tat mit einem 17-jährigen Komplizen. Ihm hatte der Häftling die Hälfte der zu erwartenden Erbschaft von seiner Mutter versprochen. Das vermeintliche Mordopfer überlebte aber schwer verletzt. Ein Jahr später nahm ein anderer Freigänger seine Ehefrau als Geisel und verletzte sie mit einem Messer schwer. 2007 geriet ein Freigänger in die Schlagzeilen, weil er in Wien einen Sexüberfall auf ein sechsjähriges Mädchen verübt hatte. Aber auch innerhalb der Justizanstalt können Täter rückfällig werden: 1995 tötete ein inhaftierter Doppelmörder während einer „Therapiestunde“ seine Betreuerin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2010)

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