Dürfen Anwälte Kartelle ihrer Kunden verraten?

(c) Michaela Bruckberger
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Ist die Korrespondenz eines Advokaten mit seinen Klienten vor dem Zugriff der Wettbewerbsbehörden geschützt? Der Oberste Gerichtshof bleibt die Antwort schuldig.

WIEN. Die Beziehung zwischen dem Mandanten und seinem Rechtsanwalt stellt gerade im Bereich des Kartellrechts ein besonders schützenswertes Vertrauensverhältnis dar. Der Mandant muss sich darauf verlassen können, dass die seinem Rechtsanwalt im Rahmen der Rechtsberatung übermittelten Informationen und dessen kartellrechtliche Analyse jedem Zugriff durch Behörden entzogen sind.

Diesem Bedürfnis trägt die österreichische Rechtsordnung bisher leider nicht ausdrücklich in vollem Umfang Rechnung: Zwar besteht im Rahmen der österreichischen Rechtsanwaltsordnung eine umfassende Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts über die ihm vom Mandanten anvertrauten Angelegenheiten. Zudem bestehen Zeugnisverweigerungsrechte eines Anwalts im Zivil- und Strafverfahren, die mit einem klaren Umgehungsverbot verknüpft sind. Gesetzlich ungeregelt und strittig ist in Österreich allerdings nach wie vor, ob auch die für die Zwecke der Rechtsberatung angefertigten Unterlagen und die Korrespondenz zu kartellrechtlichen Fragestellungen vor einem Zugriff durch die Wettbewerbsbehörden geschützt sind. Anders ist die Rechtslage auf europäischer Ebene. Im Bereich des EU-Rechts ist seit Jahrzehnten das sogenannte kartellrechtliche „Anwaltsprivileg“ externer Rechtsanwälte anerkannt.

In Fachkreisen wird eine eindeutige Klarstellung zum Bestand eines kartellrechtlichen Anwaltsprivilegs in Österreich daher bereits lange gefordert. In einer aktuellen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (16 Ok 2/10) wäre nun Gelegenheit für das Höchstgericht gewesen, für die gewünschte Rechtssicherheit zu sorgen.

Ermittlungen gegen Kanzlei

Im Anlassfall ermittelte das deutsche Bundeskartellamt wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das europarechtliche Kartellverbot (Art 101 AEUV) gegen mehrere Unternehmen, einen Schweizer Wirtschaftstreuhänder und eine österreichische Rechtsanwaltskanzlei. Das Bundeskartellamt hatte den Verdacht, dass die österreichische Anwaltskanzlei durch Bezahlung des Honorars des Wirtschaftstreuhänders für dessen Organisationstätigkeit im Dienste des Kartells einen Beitrag zum Kartell geleistet hatte. Durch eine Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten der österreichischen Anwaltskanzlei wollte die im Wege der Amtshilfe tätig werdende österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) Beweismittel für die vermuteten Kartellrechtsverletzungen sichern. Die BWB wandte sich mit einem Antrag auf Genehmigung der Hausdurchsuchung an das österreichische Kartellgericht. Das Kartellgericht wies den Antrag der BWB in erster Instanz ab.

Der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht gab dem Rekurs der BWB in der Folge statt und genehmigte die Hausdurchsuchung. Aus der Sicht des Höchstgerichts war allein ausschlaggebend, dass gegen die Sozietät selbst auch ein begründeter Verdacht der Beteiligung am Kartell durch Vertuschung der Zahlungsströme zwischen den kartellbeteiligten Unternehmen bestand. Da der Oberste Gerichtshof insofern von einer unmittelbaren Tatbeteiligung der Rechtsanwaltskanzlei ausging, sah er sich nicht weiter veranlasst, die Frage des Bestehens eines Anwaltsprivilegs zu behandeln.

Die Hoffnung, dass der Oberste Gerichtshof anlässlich dieses Falles auch zu grundlegenden Fragen des Anwaltsprivilegs nach österreichischem Recht Stellung bezieht, hat sich damit leider nicht erfüllt.

Zwar liegt es auf der Hand, dass sich die Frage des Anwaltsprivilegs nicht stellt, sofern sich eine Hausdurchsuchung gegen eine Anwaltskanzlei nur in ihrer Rolle als Mittäter richtet. Da die Haupttäter im vorliegenden Fall aber zugleich Mandanten der Anwaltskanzlei waren und da die Hausdurchsuchung offensichtlich auch darauf ausgerichtet war, Unterlagen zur Belastung der Haupttäter zu finden, hätte das Höchstgericht aber an sich die Gelegenheit nutzen müssen, um auch auf das Thema „Anwaltsprivileg“ einzugehen und dessen Anwendbarkeit im österreichischen Recht in Anlehnung an die ständige Spruchpraxis des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu bejahen.

Insgesamt hat daher das Höchstgericht eine gute Gelegenheit versäumt, klare Worte zum kartellrechtlichen Anwaltsprivileg zu finden und die überfällige Harmonisierung mit dem europäischen Recht herbeizuführen.

Als Mittäter unter Verdacht

Zudem ist festzuhalten, dass die vorliegende Entscheidung zum Thema „Hausdurchsuchung“ einen Sonderfall behandelt, in dem sich der Rechtsanwalt als Mittäter zu verantworten hatte. Die Entscheidung sagt daher nichts über die rechtlichen Vorgaben für Hausdurchsuchungen in Fällen aus, in denen die Rechtsanwaltskanzlei nicht Mittäter ist. Hier kann nur die Ansicht gelten, dass auch in kartellrechtlichen Hausdurchsuchungen ein zumindest mit der Strafprozessordnung vergleichbarer Schutzmaßstab zur Anwendung kommen muss.

Dr. Dieter Thalhammer, LL.M. Eur. ist Partner der Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH.
Mag. Judith Feldner ist Rechtsanwaltsanwärterin der Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH.

Auf einen Blick

In Österreich ist es gesetzlich
nicht geregelt, ob auch die für die Zwecke der Rechtsberatung angefertigten Unterlagen und
die Korrespondenz zu kartellrechtlichen Fragestellungen
vor einem Zugriff durch die Wettbewerbsbehörden geschützt sind. Der Oberste Gerichtshof verabsäumte es in einem aktuellen Fall, Stellung zu beziehen. Im Bereich des EU-Rechts ist seit Jahrzehnten hingegen das sogenannte kartellrechtliche „Anwaltsprivileg“ externer Rechtsanwälte anerkannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2010)

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