Rettungszwecke: Nachbarn müssen zurückstehen

Rettungszwecke Nachbaren muessen zurueckstehen
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Das Nachbarrecht muss einen Ausgleich nicht nur zwischen streitenden Grundbesitzern bieten, sondern auch zwischen benachbarten Rechtsgebieten.

Wien. Das Nachbarrecht muss einen Ausgleich nicht nur zwischen streitenden Grundbesitzern bieten, sondern auch zwischen benachbarten Rechtsgebieten. Das zeigt sich exemplarisch am Fall eines Sanatoriums in Vorarlberg, in dem besonders zur Winterzeit Sportverletzungen behandelt werden. Sehr zum Leidwesen eines Nachbarn des Sanatoriums werden viele verletzte Wintersportler mit dem Hubschrauber gebracht – mit der Folge, dass der Lärm der landenden und startenden Helikopter die Ruhe in der Montafoner Ortschaft stört. Der geografisch überschaubare Konflikt, der nun vom Obersten Gerichtshof entschieden wurde – tendenziell zugunsten des Sanatoriums –, könnte auch in viel größerem Ausmaß auftreten: etwa beim Flughafen Linz-Hörsching, wo Anrainer ebenfalls bereits versucht haben, den Betrieb zu verhindern (ohne bisher eine inhaltliche Entscheidung des OGH erreicht zu haben).

Die Starts und Landungen im Montafon haben, so viel steht fest, den durchschnittlichen Lärmpegel auch auf der Nachbarliegenschaft des Sanatoriums deutlich erhöht. Statt wie ein ländliches Wohngebiet klang die Umgebung des Sanatoriums nach Experteneinschätzung wie ein städtisches Wohngebiet, phasenweise sogar wie ein belebtes Kerngebiet. Der Krach von Turbinen und Rotorblättern übertraf auch merkbar jene Schallpegelspitzen, die beim Vorbeifahren von Lkw zu messen waren.

Schlafstörungen, Depressionen

Der Nachbar fühlte sich durch den Lärm stark gestört und klagte über diverse Beschwerden, von Schlafstörungen bis zu Depressionen. Es war allerdings nicht nachweisbar, dass sie alle auf die ein- und ausfliegenden Hubschrauber zurückzuführen waren. So blieb dem Mann nichts anderes übrig, als schlicht auf Unterlassung der akustischen Immissionen zu klagen, so weit sie „das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen“ (§364 Abs2 ABGB). Allerdings, und hier tritt zum Konflikt mit dem Nachbarn der Harmonisierungsbedarf mit dem Verwaltungsrecht hinzu: Der Hubschrauberlandeplatz war verwaltungsbehördlich genehmigt. Und für diesen Fall schließt §364a Unterlassungsansprüche aus und verweist betroffene Nachbarn auf eine finanzielle Entschädigung.

Das wiederum funktioniert aus verfassungsrechtlichen Gründen nur so weit, wie der Nachbar im Genehmigungsverfahren Parteistellung hatte (bei der Mehrzahl der Verfahren ist das heute gewährleistet, bei Großprojekten durch die Umweltverträglichkeitsprüfung); würde nämlich über seinen Kopf hinweg die Genehmigung erteilt und er folglich in seinen Abwehransprüchen beschnitten, würde er in einem Grundrecht verletzt: im Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK). Und wirklich: An keinem der Verfahren, die vor der Aufnahme des Flugbetriebs abgewickelt wurden, war der Nachbar beteiligt.

Das hinderte die erste und zweite Instanz allerdings nicht, die Klage des Nachbarn abzuweisen: Beteiligung hin oder her, die Behörde habe ohnehin die Zumutbarkeit des Betriebs geprüft, lautete sinngemäß die Begründung.

Kunstgriff des Höchstgerichts

So einfach wollte es sich der OGH jedoch nicht machen. In seiner sehr elaborierten Entscheidung fand er einen Kunstgriff, wie der Nachbar auch ohne Anwendung des §364a um einen Unterlassungsanspruch gebracht werden kann (8 Ob 128/09w). Und zwar so: Die in §364 angesprochene Ortsüblichkeit und der Grad der Beeinträchtigung werden über die rein faktische und technisch messbare Situation hinaus mit Wertungen aufgeladen. Das Nachbarrecht gebiete einen „sozialrelevanten Interessenausgleich“; also sei die Frage der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung „vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen aus zu beantworten, der auch auf die allgemeinen Interessen und gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens Bedacht nimmt“.

Zu diesen Allgemeininteressen zählt ganz zentral der Schutz des Lebens und der Gesundheit, der mit den Flügen gefördert wird. Rettungsflüge in einem Skigebiet und nahe einem Sanatorium gelten nach Einschätzung des OGH als „ortsüblich“, wenn

•die Grenzen der Bewilligung und die Auflagen eingehalten werden,

•keine Gesundheitsbeeinträchtigungen für die Anrainer entstehen,

•die Rettungsflüge nur in dem aus gesundheitlichen Gründen erforderlichen Ausmaß durchgeführt werden und

•der Betreiber alles unternimmt, um die Lärmbelästigung möglichst gering zu halten.

All das muss zwar noch von der ersten Instanz geprüft werden; entsprechende Nachweise werden dem Betreiber des Sanatoriums aber wohl nicht schwer fallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2010)

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