Kein Schadenersatz wegen einer Geburt?

Kein Schadenersatz wegen einer
Kein Schadenersatz wegen einer(c) Illustration Vinzenz Schüller
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Das Justizministerium will schuldhaft handelnde Ärzte von der Haftung freistellen. Das würde die Sorglosigkeit fördern und wäre gleichheitswidrig. Eltern behinderter Kinder sollte aber das Prozessrisiko abgenommen werden.

. . Ein Änderungsentwurf des Justizministeriums sieht die Einfügung folgender Bestimmung in das ABGB vor: „Aus dem Umstand der Geburt eines Kindes können weder das Kind noch die Eltern noch andere Personen Schadenersatzansprüche geltend machen. Ausgenommen davon sind Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder der Geburt.“

Damit sollen alle Schadenersatzansprüche gegen Ärzte wegen unerwünschter Geburt eines Kindes unterbunden werden; zugleich ist geplant, die sozialrechtlichen Leistungen auszubauen. Die Begründungen des Gesetzesentwurfes lassen erkennen, dass der Vorschlag die Ansprüche der Eltern behinderter Kinder im Auge hat, die von Ärzten vor der Geburt versehentlich nicht auf die Behinderung aufmerksam gemacht wurden und daher keine Abtreibung vornahmen. In diesen Fällen hat die angedachte sozialrechtliche Lösung statt einer schadenersatzrechtlichen viel für sich; sozialversicherungsrechtliche Vorbilder dafür gibt es im Arbeitsrecht. Die Eltern hätten keine langwierigen, risikoreichen Prozesse zu führen, und die ausreichende Versorgung des Kindes wäre von Beginn an gesichert.

Sozialrechtliche Lösung positiv

Insofern ist die vorgeschlagene Gesetzesänderung durchaus zu begrüßen. Allerdings bedürfte es zuerst oder zumindest zugleich der Schaffung einer sozialrechtlichen Grundlage, damit die neue Lösung nicht allein zulasten der behinderten Kinder und der Eltern ausschlägt – was sicherlich nicht der Sinn der gesetzlichen Maßnahme ist. Die sozialrechtliche Lösung müsste selbstverständlich alle behinderten Kinder erfassen, nicht nur jene, die wegen eines ärztlichen Fehlers am Leben sind.

Bei der Verfassung des Entwurfs war allerdings der Blick zu sehr auf die behinderten Kinder fixiert, sodass es der Aufmerksamkeit entgangen sein dürfte, dass der Text einerseits viel zu weit gefasst ist und andererseits so manche Frage des rechtlichen Umfeldes nicht in die Überlegungen einbezogen wurde. Das wäre aber nötig, um das angestrebte Ziel zu erreichen, ohne zugleich gravierende andere Probleme hervorzurufen.

Diese Behauptung bedarf selbstverständlich der Begründung, die ihrerseits mit erläuternden Vorbemerkungen beginnen muss, um verständlich zu sein: Die unter dem Schlagwort „das Kind als Schaden“ geführte Diskussion hat zwar erheblich zur Emotionalisierung, aber wenig zur sachlichen Klärung des Problems beigetragen: Die wirkliche Sachfrage wurde lediglich verdunkelt. Es geht keineswegs darum, ein Kind als Schaden anzusehen; das wurde selbstverständlich von allen ernst zu nehmenden Meinungen verneint. Es kann vielmehr nur darum gehen, ob der den Eltern durch die Geburt eines Kindes entstehende Unterhaltsaufwand – und selbstverständlich nicht das Kind! – als ein auszugleichender Nachteil anzusehen ist oder nicht. Die uneinheitliche Rechtsprechung war bisher überwiegend bereit, den Eltern bei außergewöhnlichen Belastungen den gesamten Unterhalt oder den Mehraufwand zu ersetzen. Dabei sollte es aber nach überzeugender Ansicht nicht darauf ankommen, ob es um den Unterhalt für ein gesundes oder ein behindertes Kind geht, sondern nur darauf, ob eine außerordentliche Belastung gegeben ist.

Aufwand, nicht Kind als Schaden

Die geplante Gesetzesänderung betrifft nun keineswegs nur die in der Diskussion allein erwähnten behinderten Kinder, sondern – mangels Differenzierung – auch die unerwünschte Geburt gesunder Kinder: etwa nach einer unzureichenden Eileiterunterbindung oder wegen Einsetzung einer zu großen Zahl befruchteter Eizellen. Das ist zunächst schon deshalb bedenklich, weil in diesen Fällen eine sozialversicherungsrechtliche Lösung wohl kaum in Betracht kommen wird und daher die Eltern allein den Nachteil zu tragen hätten. Es sollte auch beachtet werden, dass sich diese Fälle von jenen der Geburt behinderter Kinder dadurch unterscheiden, dass es hier nicht um Ansprüche wegen Verhinderung einer Abtreibung geht und daher die rechtsethisch umstrittenen Fragen sich gar nicht stellen. Vielmehr geht es darum, dass die ohnehin nicht verhinderte Geburt durch einen Fehler des Arztes herbeigeführt wurde. Würden hier Schadenersatzansprüche in Fällen außergewöhnlicher Belastung der Eltern abgeschnitten, so hätten – bei Fehlen einer sozialversicherungsrechtlichen Lösung – die Eltern und mittelbar selbstverständlich alle ihre schon vorhandenen Kinder den Nachteil zu tragen. Aus welchen Gründen sollte eine Lösung zulasten der Eltern sowie Kinder und zugunsten nachlässiger Ärzte – die sich durch eine Haftpflichtversicherung absichern können – gerechtfertigt sein? Es ist auch zu bedenken, dass finanzielle Probleme sicherlich nicht der Eltern-Kind-Beziehung förderlich sind, vielmehr eine erhebliche Entspannung zugunsten des Kindes einträte, wenn den Eltern die außergewöhnliche Belastung abgenommen wird, und überdies drohende wirtschaftlichen Probleme die Eltern sogar zur Abtreibung veranlassen könnten – was wohl nicht gerade im Sinne der Befürworter des Entwurfes liegen dürfte.

Die völlige Haftungsfreistellung schuldhaft handelnder Ärzte, und zwar nach dem Wortlaut des Entwurfs selbst bei vorsätzlicher Schädigung, wirft ferner ein grundsätzliches Problem auf: Das Schadenersatzrecht verfolgt nicht nur den Zweck des Nachteilsausgleichs, sondern zugleich auch den der Prävention. Die drohende Schadenersatzpflicht ist durchaus geeignet, das Verhalten zu steuern und die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu fördern. Mit dem Ausschluss der Schadenersatzpflichten unsorgfältiger Ärzte wird deren zivilrechtliche Verantwortlichkeit beseitigt.

Privilegierung der Ärzte

Das fördert die Sorglosigkeit, zerstört die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patienten und ist schließlich grob gleichheitswidrig. Ärzte wären nämlich die einzigen Sachverständigen, die für ihre Fehlleistungen nicht haftbar würden. Eine sachliche Rechtfertigung, dass gerade im höchst sensiblen Verhältnis Arzt – Patient eine derartige Haftungsfreiheit angemessen sein sollte, ist wohl kaum zu finden; ebenso ist auch nicht erkennbar, aus welchen Gründen unsorgfältige Ärzte derartige Privilegien genießen sollten. Zu bedenken ist auch, dass nach geltendem Verbraucherschutzrecht ein völliger Ausschluss der Haftung durch allgemeine Geschäftsbedingungen der Ärzte sittenwidrig und daher ungültig wäre. Es erscheint höchst bedenklich, wenn der Gesetzgeber generelle Regeln einführt, die er an anderer Stelle als sittenwidrig brandmarkt.

Das Problem der Begünstigung sorglos handelnder Ärzte stellt sich übrigens auch in dem Bereich, in dem es um behinderte Kinder geht. Die sozialversicherungsrechtliche Lösung sollte daher zur Vermeidung der eben erwähnten Bedenken unbedingt mit Regressansprüchen der zahlenden Sozialversicherung gegen die verantwortlichen Ärzte gekoppelt sein. Dies entspricht auch durchaus den allgemeinen Grundsätzen und überdies der Überlegung, dass es nicht einzusehen wäre, warum die Allgemeinheit für die mangelnde Sorgfalt mancher Ärzte einstehen sollte.

Univ.-Prof. Helmut Koziol lehrte Zivilrecht an der Universität Wien.

Auf einen Blick: Die Entwicklung der Rechtsprechung

1999 sprach der Oberste Gerichtshof (OGH) erstmals Schadenersatz zu, weil die Eltern abgetrieben hätten, wenn sie von der Behinderung des Kindes informiert worden wären. Beim Ultraschall hatte der Arzt die Behinderung übersehen. Die Eltern bekamen aber nur den Mehraufwand zugesprochen, den ein behindertes Kind erfordert (1 Ob 91/99k).

2006 meinte der OGH, dass die Eltern den gesamten Unterhalt für das behinderte Kind erhalten sollen. Es lag ein ärztlicher Aufklärungsfehler vor. Da es noch Tatsachenfragen zu klären gab, verwies der OGH (5 Ob 165/05h) die Causa an die Unterinstanz, es kam zu einem Vergleich.

2008 folgte das erste OGH-Urteil, in dem der gesamte Unterhalt für ein behindertes Kind rechtskräftig festgestellt wurde. In der Risikoambulanz hatte eine unerfahrene Ärztin Dienst gehabt (5 Ob 148/07m).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2011)

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