In den Untiefen des Wasserrechts

Jusitzmarathon. Seit 30 Jahren liegt der Staat im Streit mit zwei Familien. Beteiligt: Bezirk, Land, Bund, VwGH, EU, Staatsanwalt...

Wien/Mip. Es kommt öfter vor, dass Rechtsstreitigkeiten Jahrzehnte dauern. Aber nur selten gibt es so etwas wie den 30. Geburtstag einer Causa, der mit einer Gutachten-Blütenlese durch einen Burgschauspieler gefeiert wird. Jüngst las Peter Matić, auch Theaterverweigerern als die Synchronstimme Ben Kingsleys bekannt, im großen Saal des Wiener Gewerbevereins Worte zur Sache von Juristen wie Heinz Mayer, Frank Höpfel, Ferdinand Kerschner und Bernhard Raschauer.

So ungewöhnlich das Ereignis, so schlicht klingt der Anlass: Es geht darum, wer den „Lanzenkirchner Werkskanal“, einen künstlichen Nebenarm der Leitha, samt zugehörigen Wehranlagen instand zu halten hat. 1952 hatte die Behörde auf die Frage der Familien Schicker und Haberl-Schicker, wer die im Krieg verwüsteten Anlagen instand setzen solle, geantwortet: Ihr! 1980 wurde das den beiden Familien, die am Werkskanal zwei Kleinkraftwerke betrieben, aber zu viel. Denn durch die Regulierung der Leitha-Zuflüsse wurde der Kanal verschottert und hochwassergefährdet.

1984 gab es zwar einen Bescheid der BH Wiener Neustadt, dass die Gemeinde Walpersdorf alle Schäden beheben müsse, die „als Folge der Regulierungsmaßnahmen entstehen“. Das wurde aber von den Behörden, allen voran der NÖ-Wasserrechtsabteilung, so gedeutet, dass es nur um Schäden im Zuge der Bauarbeiten gehe. Das sehen die Kleinkraftwerksbetreiber nicht so, sie berufen.

Die Behörden erklären, dass sich die Verantwortung der beiden Familien aus dem Wasserbuch, dem „Grundbuch“ für Wasserrechte, ergebe sowie aus der langjährigen Übung der Instandhaltung durch die Familien. Doch der führende Wasserrechtsexperte Bernhard Raschauer stellt 1996 überraschend fest, dass keine solchen Pflichten eingetragen seien und man Pflichten der öffentlichen Hand auch nicht „ersitzen“ könne. Ein Bescheid des Landes erkennt dies 1997 an. Aber das Seltsame geschieht: Weiter werden die Familien zur Instandsetzung verpflichtet.

Diese weigern sich, gehen zur EU, erheben Aufsichtsbeschwerde beim Land, bekommen 2001 vom Verwaltungsgerichtshof zwar recht, aber immer noch keine bescheidmäßige Klärung, bringen eine Amtshaftungsklage ein (2004) und – mit Belegen für Absprachen und unrichtige Behördenmitteilungen – eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch (2006), die derzeit noch von der Korruptionsstaatsanwaltschaft behandelt wird. Die Grünen stellen ihretwegen eine Anfrage an den Landwirtschaftsminister. 2006 wird ihnen erneut die Ausbesserung des Kanals vorgeschrieben. Sie gehen – mit über 270 Seiten Gutachten ausgerüstet – wieder zum VwGH, bekommen 2009 wieder recht.

Aber noch ist das Grundproblem ungelöst. Längst ist der Kanal so verschottert, dass die Kraftwerke stillgelegt werden mussten. Nun kommt aber wieder Leben in die Sache. Ein Dreiersenat am Landesgericht Wiener Neustadt nimmt sich erneut des Falles an. Die Familien hoffen, dass vielleicht doch der 27 Jahre alte Bescheid zu seinem Recht kommt, der die Gemeinde verpflichtet hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2011)

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