Brennerbasistunnel: Konflikt zwischen Höchstgerichten führt ins Rechtschutz-Nirwana

Sprengvortrieb für den Brennerbasistunnel
Sprengvortrieb für den BrennerbasistunnelBBT
  • Drucken

Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof schätzen Auswirkungen des EU-Rechts auf Umweltverträglichkeitsprüfung bei hochrangigen Projekten unterschiedlich ein. Mit der Folge, dass Prüfung des Brennerbasistunnels nicht mehr möglich scheint.

Wien. Tiroler Umweltschützer haben im Kampf gegen den Brennerbasistunnel zwar Entscheidungen zweier Höchstgerichte erreicht. Doch eine Rechtsmittelentscheidung in der Sache – schadet der Tunnel der Umwelt oder nicht? – haben sie nicht. Möglicherweise werden sie eine solche auch nie bekommen, denn der Verwaltungs- und der Verfassungsgerichtshof haben einander in einer Weise widersprochen, die in diesem Fall keinen juristischen Ausweg lassen dürfte.
Das Verkehrsministerium hatte den Tunnel bewilligt, das Transitforum den VwGH angerufen. Dieser meinte, dass ihm punkto Sachverhaltsprüfung nicht jene Möglichkeiten offenstünden, die nach EU-Recht in Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) geboten seien (Art 10a der UVP-Richtlinie). Also müsse der Umweltsenat befasst werden können, obwohl dieser laut UVP-Gesetz für Eisenbahnhochleistungsstrecken (und Autobahnen, Schnellstraßen) gar nicht zuständig ist, sondern nur für alle anderen UVP-pflichtigen Vorhaben. EU-Recht geht in diesem Fall vor, so der VwGH. Der Gerichtshof wies die Beschwerde zurück und merkte an, dass die Partei zuerst Berufung und einen Wiedereinsetzungsantrag einbringen müsse.

„Gericht“ im Sinn der Charta

Dem widerspricht der VfGH: Seiner Ansicht nach reichen die Möglichkeiten des VwGH aus, um die in der EU-Grundrechte-Charta normierten Anforderungen an ein Gericht zu erfüllen. Denn abgesehen von der Befugnis, die rechtliche Richtigkeit von Entscheidungen zu prüfen, sei der VwGH auch an die Tatsachenfeststellungen „nicht schlechthin gebunden“; vielmehr könne er Bescheide aufheben, wenn die Behörde den Sachverhalt unvollständig geprüft oder unschlüssig oder aktenwidrig angenommen habe.
Nach VfGH-Einschätzung ist die UVP-Richtlinie in diesem Punkt auch nicht konkret genug, als dass sie sich für eine unmittelbare Anwendung eignete und das nationale UVP-Gesetz verdrängen könnte; ein zeitlich zwischen dem VwGH- und dem VfGH-Erkenntnis ergangenes Urteil des Gerichtshofs der EU scheint dies zu bestätigen.
Jedenfalls kippte der VfGH (B 254/11) eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist, mit der das Verkehrsministerium den Weg zum Umweltsenat freimachen wollte. Außer für die Bahn durch den Brenner ist jetzt aber gar kein Weg frei: Der Umweltsenat kann kraft UVP-Gesetzes nicht angerufen werden, der ab sofort doch zuständige VwGH hat bereits abschlägig entschieden. Ob er eine Wiederaufnahme bewilligen könnte oder ob es andere Wege zu einer Sachentscheidung gibt, ist höchst ungewiss.

Neue Instanz „hinfällig“

Sicher ist sich im Moment bloß die Regierung: Nachdem der VwGH auch bei höherrangigen Projekten eine andere unabhängige Instanz als sich selbst für nötig befunden hatte, plante sie die Schaffung eines Infrastruktursenats. Dieser ist nun „hinfällig“, so das Verkehrsministerium („Die Presse“ hat berichtet).
Wolfgang Berger, ehemaliges Mitglied des VwGH, nun (wieder) Rechtsanwalt und Umweltrechtspezialist, bedauert, dass keines der Höchstgerichte den EU-Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht hat. Die Frage, welche Prüfbefugnisse die UVP-Richtlinie und die Grundrechte-Charta für ein unabhängiges Gericht bei der UVP verlangten, hätte durchaus gestellt werden können, meint Berger. Es sei jedenfalls merkwürdig, dass beide Höchstgerichte anscheinend keine Unklarheit im EU-Recht gesehen hätten, dabei aber zu diametral unterschiedlichen Ergebnissen gekommen seien.
Widersprüche zwischen VfGH und VwGH gab es indes öfter: So wurden die Parteistellung von Bewerbern für Schuldirektorposten, die Rechtsposition von Religionsgemeinschaften im Verfahren zur Anerkennung oder die Rechte von Unternehmen, in Baubewilligungsverfahren Einwände gegen eine heranrückende Wohnbebauung zu erheben, unterschiedlich gesehen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.