Kein Kopftuch und ein neuer Name für Fatime

Kein Kopftuch neuer Name
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Mehrfachdiskriminierung. Benachteiligungen kommen vielfach gehäuft vor. Der Rechtsschutz verdünnt sich dabei oft.

Graz. Miriam O'Reilly ist eine attraktive 53-jährige Mitarbeiterin der BBC. Sie bewarb sich um die Moderatorenstelle für eine neue Sendung. Ohne Erfolg – eingestellt wurden junge Frauen, junge Männer und ein älterer Mann. O'Reilly fühlte sich unfair behandelt, da sie über zumindest gleichwertige Qualifikationen verfügte und ging gegen diese Diskriminierung aufgrund des Alters und des Geschlechts gerichtlich vor.

O'Reilly argumentierte, dass die Diskriminierung nicht nur aufgrund ihres Geschlechts stattgefunden habe, denn es wurden auch junge Frauen eingestellt. Sie wurde auch nicht nur aufgrund ihres Alters diskriminiert, denn es wurde auch ein älterer Mann eingestellt. Die Kombination aus Alter und Geschlecht war der Grund, nicht ausgewählt zu werden. Das britische Gericht gab ihr hinsichtlich des Alters, nicht jedoch hinsichtlich des Geschlechts Recht. Die Verbindung der beiden Motive als den eigentlichen Diskriminierungsgrund anerkannte das Gericht nicht. Bei Fällen von intersektioneller Diskriminierung stößt das Konstrukt der Vergleichsperson an seine Grenzen: Bezieht sich die Frau darauf, eine Frau zu sein, so wird ihr entgegengehalten, dass eine ausreichende Anzahl an Frauen beschäftigt wird. Bezieht sie sich auf ihr Alter, wird festgestellt, dass auch ältere Männer beschäftigt werden. Solche Diskriminierung ist im geltenden Recht unsichtbar.

Das Dienstverhältnis von Fatime Özgün (Name geändert, Anm.) wurde aus oberflächlich sachlichen Gründen aufgelöst. Wie ist dies zu bewerten, da feststeht, dass während des Dienstverhältnisses das Tragen des Kopftuches beanstandet, der jungen Frau das Färben der Haare nahegelegt und sie mit in Österreich geläufigeren Namen wie Kathi oder Heidi angesprochen wurde? Welche Rolle spielten in der ihr zugemuteten Benachteiligung neben Religion und Herkunft ihr Alter und ihr Geschlecht? Wie sähe die Lage außerhalb der Arbeitswelt aus, in der allenfalls ihr Geschlecht und jedenfalls ihre ethnische Zugehörigkeit als Unterscheidungsmerkmale verpönt wären? Sie war dem Dienstgeber in mehrfacher, sich gegenseitig bestärkender Weise ausgeliefert. Solche Fälle sind nicht selten.

Der OGH hatte einen Fall zu entscheiden, wo sich die Klägerin während ihres Lehrverhältnisses unter anderem Beschimpfungen wie „Scheiß-Tschuschin“, „dumm“, „keine Ahnung vom Leben“ gefallen lassen musste (8 Ob A63/09m).

Unterschiedlicher Schutz je nach Motiv

Das Gleichbehandlungsrecht hat einen grundsätzlichen „Schönheitsfehler“. Es gelten unterschiedliche Anwendungsbereiche für die verschiedenen Diskriminierungsmotive. Bei Mehrfachdiskriminierungen kann dies leicht zu einem verringerten Schutzniveau für die Betroffenen führen, obwohl das österreichische Gleichbehandlungsgesetz wegen eines erhöhten Unrechtsgehalts bei Mehrfachdiskriminierung einen höheren Schadenersatz vorsieht. Wird zum Beispiel ein muslimisches Mädchen in der Schule wegen ihres Kopftuches benachteiligt, kann es sich unter Umständen auf ihre ethnische Herkunft, nicht jedoch auf ihre Religion oder ihr Geschlecht berufen, obwohl genau das Zusammentreffen der Motive ausschlaggebend für die Benachteiligung war. Zahlt ein 19-Jähriger einen höheren Kfz-Versicherungstarif, kann er sich nicht als junger Mann wehren, weil das Alter in diesem Segment nicht geschützt ist. Die unterschiedlichen Schutzniveaus im Gleichbehandlungsrecht wurden trotz Empfehlung der EU und entsprechender Regierungsvorlage mit der letzten Novelle nicht beseitigt. Es gilt deshalb weiterhin: Je komplexer die Benachteiligung, desto schlechter der rechtliche Schutz.

Die Grundrechteagentur der EU stellte in einer europaweiten Studie fest, dass im Schnitt knapp über 20 Prozent der Diskriminierungserfahrungen Mehrfachdiskriminierungen sind. Empirische Studien belegen, dass Mehrfachbenachteiligung eine Lebensrealität für viele Menschen darstellt. Eigene Untersuchungen des Europäischen Trainings- und Forschungszentrums für Menschenrechte und Demokratie (ETC) bestätigen dies. In der Rechtspraxis spielt das Phänomen eine vergleichsweise geringe Rolle.

Diese starke Divergenz von Rechtspraxis und sozialer Realität wirft Fragen auf: Sind die sozialen Strukturen dermaßen ausschließend, dass es keinen adäquaten Zugang zum Recht gibt? Kommen die betroffenen Personen durch die Vermittlungspraxis des AMS gar nicht erst in den Arbeitsmarkt, in dem sie dann durch das Gleichbehandlungsgesetz geschützt wären? Versagt das Gleichbehandlungsrecht bei Mehrfachdiskriminierung? Verhindert die Rechtspraxis eine einschlägige Anerkennung von Mehrfachdiskriminierung? Beschweren sich benachteiligte Menschen aus Angst vor weiterer Benachteiligung nicht, oder sind sich die Betroffenen dessen gar nicht bewusst?

Jede Person vereint in sich multiple Identitäten – wir alle haben ein Geschlecht, ein Alter, eine sexuelle Orientierung, eine ethnische Zugehörigkeit –, bei einigen kommen noch Religion und unter Umständen eine Behinderung hinzu. Schon diese Auflistung stellt das herrschende Konzept der parallelen Betrachtung der Diskriminierungsgründe infrage. Weshalb sollte ein Mensch bei angenommenem Vorliegen einer Diskriminierung plötzlich mit einer einfachen Identität betrachtet werden, wo er/sie doch grundsätzlich über eine multiple Identität verfügt?

Oberster Gerichtshof nimmt Rücksicht

Mehrfachdiskriminierung wird seit den 1980er-Jahren diskutiert – aus den USA kommend wird das Thema nunmehr auch in der EU beachtet, ist in den österreichischen Nichtdiskriminierungsgesetzen verankert und fand mit der Frage des Schadenersatzes bei Mehrfachdiskriminierung erstmals Eingang in die Judikatur des OGH (s. die erwähnte Entscheidung).

Die oben aufgeworfenen Fragen sind zumindest teilweise mit Ja zu beantworten. Unsere Gesellschaft weist Strukturen auf, welche benachteiligte Menschen marginalisieren. Das Gleichbehandlungsrecht versagt, weil je nach Motiv und Sachverhalt unterschiedliche Schutzniveaus existieren – eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Die Rechtspraxis tendiert dazu, komplexe Fälle zu vereinfachen, was grundsätzlich legitim und sinnvoll ist, wenn es die Erfolgsaussichten verbessert, allerdings der Sache nicht immer gerecht wird. Und schließlich sind die Hürden, gegen Diskriminierung rechtlich vorzugehen, dermaßen hoch, dass es kaum gerichtliche Fälle gibt.

Mag. Veronika Apostolovski, E.MA und Dr.Klaus Starl arbeiten im Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie (ETC) in Graz. Dieses beschäftigt sich in einem vom Wissenschaftsfonds geförderten Projekt mit dem Thema Mehrfachdiskriminierung. Im Oktober wird es einen Austausch mit nationalen Expertinnen und Experten über einen besseren Umgang damit geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2011)

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