Bluttransfusion verweigert: An Tod selbst schuld

Bluttransfusion verweigert selbst schuld
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Aus Glaubensgründen lehnte ein Mitglied der Zeugen Jehovas die nötige Hilfe ab. Nach ihrem Ableben forderte der Ehemann Schadenersatz - und scheiterte. Auch kein Schmerzensgeld erhält er für seine damalige Trauer.

Wien. Wer verletzt wurde, muss alles tun, damit die Folgen möglichst gering ausfallen. Schadensminderungspflicht nennt das der Jurist. Doch was gilt, wenn jemand wegen religiöser Verpflichtungen Handlungen verweigert, die aus medizinischer Sicht aber notwendig wären? Diese Frage musste der Oberste Gerichtshof anlässlich des Falles einer Zeugin Jehovas klären. Sie hatte nach einem Unfall Bluttransfusionen verweigert und war verstorben.

Im Juni 2005 hatte sich der tragische Verkehrsunfall in Wien ereignet. Die Frau wurde als Fußgängerin von einem Sattelzug erfasst und niedergestoßen. Unter anderem erlitt sie ein Überrolltrauma samt Oberschenkelamputation. Am Folgetag starb die Frau, die Ärzte hatten ihrem Wunsch entsprechend keine Blutkonserven zugeführt. Der Ehemann der Toten forderte die Begräbniskosten (5800 Euro), Schmerzensgeld für die Frau (800 Euro) und für sich selbst ein Trauerschmerzensgeld von 10.000 Euro ein. Er sei nämlich nach dem Tod der Ehefrau, mit der er 44 Jahre lang verheiratet war, in ein „schwarzes Loch“ gefallen. Der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs ließ es jedoch auf einen Gerichtsprozess ankommen. Die Versicherer wandten ein, die Frau wäre nicht gestorben, hätte sie Bluttransfusionen akzeptiert. Daher müsse man für die Folgen ihres Todes nicht einstehen.

Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen gab der Klage des Mannes statt: Dem Unfallopfer dürfe kein Nachteil aus seiner Religionszugehörigkeit erwachsen, auch wenn die Zeugen Jehovas zum Unfallszeitpunkt noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt waren. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des einzelnen Menschen würden unzumutbar eingeschränkt werden, wenn man Zeugen Jehovas wegen ihrer religiösen Einstellungen benachteiligte. Die Schadensminderungspflicht werde daher nicht verletzt, wenn man als Geschädigter allein aus Glaubensgründen gehandelt habe. Der Verursacher des Unfalls müsse somit auch dann voll haften, wenn das Opfer Bluttransfusionen ablehnt.

Konflikt von Grundrechten

Das Oberlandesgericht Wien hob das Urteil jedoch auf. Es sprach nur 600 Euro Schmerzensgeld zu, und zwar für die Leiden, die die Frau persönlich hatte ertragen müssen. Kosten für den Tod dürften nicht geltend gemacht werden. Wenn sich jemand aus religiösen Gründen gegen eine lebensrettende Therapie entscheide, dann müsse dieser und seine Nachkommen die Folgen selbst tragen.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) analysierte zunächst eine ältere Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck. Dieses hatte 1994 festgestellt, dass ein Zeuge Jehovas nicht die Pflicht zur Schadensminderung verletzt, wenn sich seine Heilungsdauer wegen der Verweigerung von Blutkonserven verzögert. Die Ansicht der Tiroler Richter sei aber falsch gewesen, meinte der OGH in seinem aktuellen Fall. Wer eine objektiv schlechte Entscheidung trifft – also die Bluttransfusion verweigert – müsse vielmehr selbst die daraus folgenden Nachteile tragen. Denn die Gewissensfreiheit eines Einzelnen dürfe nicht dazu führen, dass jemand anderer einen Schaden bezahlen muss. Sonst wäre nämlich ein anderes Grundrecht, das Recht auf Eigentum, betroffen. Überdies würde es eine Privilegierung der Zeugen Jehovas bedeuten, wenn nur sie Bluttransfusionen verweigern dürften, ohne die rechtlichen Folgen selbst tragen zu müssen. „Diese Sichtweise stünde im Verdacht, gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, wonach auch Vorrechte des Bekenntnisses ausgeschlossen sind“, formulierten die Höchstrichter (2 Ob 219/10k).

Der Rekurs des Mannes wurde verworfen. Der Mann – er ist inzwischen wieder verheiratet – kann die Kosten für den Tod seiner ehemaligen Frau nicht abwälzen und erhält auch für seine damalige Trauer kein Schmerzensgeld.

Auf einen Blick

Gewissensfreiheit bedeute nicht, dass ein Unfallopfer die Pflicht zur Schadensminderung verletzen dürfe, sagt der OGH. Müsste nämlich in der Folge der Schädiger mehr zahlen, wäre wiederum er in einem Grundrecht (auf Eigentum) verletzt. Überdies dürften die Überzeugungen einer Religionsgruppe nicht dazu führen, dass sie gegenüber anderen bevorzugt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2011)

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