Immunität: "Schwer eingrenzbar, potenziell unerträglich"

Immunitaet Schwer eingrenzbar potenziell
Immunitaet Schwer eingrenzbar potenziell(c) Illustration: Vinzenz Schüller
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Der renommierte Strafrechtler Manfred Burgstaller kritisiert die von vier Parteien beabsichtigte Neuregelung der Abgeordnetenimmunität. Die Strafverfolgung drohe in unabsehbarem Ausmaß darunter zu leiden.

Wien. Ausgerechnet jetzt, wo offenbar wird, wie hemmungslos sich manche Politiker mit ihren Beratern an öffentlichen Geldern bedienen, machen sich Politiker daran, sich selbst und ihr Umfeld besser gegen eine strafrechtliche Verfolgung zu schützen. Ein Initiativantrag von vier der fünf Parlamentsparteien (SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne) zur Neugestaltung der parlamentarischen Immunität könnte Ermittlungen in politisch brisanten Kriminalfällen weitgehend unmöglich machen. Davor warnt der renommierte Strafrechtler Manfred Burgstaller, emeritierter Professor an der Universität Wien und derzeit Rechtsschutzbeauftragter beim Innenministerium, im Gespräch mit der „Presse“. Burgstaller wörtlich: „Die geplante Regelung trägt die Gefahr in sich, die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten in einem nur schwer eingrenzbaren und zumindest potenziell unerträglichen Ausmaß zu unterbinden.“

Was wird mit dem Initiativantrag 1619/A genau vorgeschlagen?

•Die berufliche Immunität bleibt erhalten, wie sie ist: Abgeordnete können auch weiterhin für ihr Stimmverhalten und für Äußerungen im Parlament rechtlich nicht bzw. nur vom Nationalrat selbst zur Verantwortung gezogen werden – für Burgstaller kein Problem.

•Die sachliche Immunität wird ausgeweitet. Sie betrifft die Wiedergabe von Äußerungen, die im Parlament gefallen sind. Beleidigt also ein Abgeordneter jemanden etwa in einer Plenarsitzung, so darf dieses Zitat straflos wiedergegeben werden. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings entschieden, dass dies nicht für den Urheber des Zitats gilt: Der Abgeordnete selbst soll seine Beleidigung nicht auch außerhalb des Hohen Hauses jederzeit und überall wiederholen dürfen, nur weil er sie zuvor im Parlament immunisiert hat. Diese Judikatur soll nun erklärtermaßen konterkariert werden, „jeder, der über die Verhandlungen (...) wahrheitsgemäß berichtet, bleibt von jeder Verantwortung frei“ (Art 33). Das löst bei Burgstaller bereits „erhebliches Unbehagen“ aus; mit etlichen Stellungnahmen aus den Bundesländern („Die Presse“ hat berichtet) kritisiert er diese Ausweitung; Bürger drohten damit schutzlos einer nachhaltigen (Ruf-)Schädigung ausgesetzt zu werden.

•Die außerberufliche Immunitätist allerdings das größte Problemfeld. Bisher dürfen Abgeordnete wegen einer Straftat ohne Zustimmung des Nationalrats nur dann behördlich verfolgt werden, wenn die Tat offensichtlich in keinem Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit steht. Diese Art der Immunität soll abgeschafft werden, was in einigen Stellungnahmen begrüßt wird. Sie wird aber, was anscheinend mehrfach übersehen wird, durch ein neuartiges Ermittlungsverbot ungeahnten Ausmaßes ersetzt. Und genau das ruft Burgstaller auf den Plan: eine „gigantische Erweiterung“, warnt er.

Neuartiges Ermittlungsverbot

An die Stelle des bisherigen, strikt auf den jeweiligen Abgeordneten beschränkten persönlichen Verfolgungshindernisses soll nach dem Plan der Abgeordneten ein „generelles, sachverhaltsbezogenes Ermittlungsverbot“ treten, sagt Burgstaller. Dieses Verbot soll bei Sachverhalten, die die Vorbereitung und Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben eines Abgeordneten unmittelbar betreffen, alle Personen erfassen, die in einen derartigen Sachverhalt in irgendeiner Weise involviert sind. Das kann, wie nicht nur die aktuellen Entwicklungen in der Telekom-Affäre allzu deutlich zeigen, bald einmal der Fall sein.

Schon Ermittlungen zur Aufklärung eins suspekten Geschehens wären – einen Bezug zur Parlamentsarbeit vorausgesetzt – verboten, an Anklagen wäre gar nicht zu denken. Für Burgstaller wäre das gerade in der jetzigen Zeit das völlig falsche Signal der Politik. Zusätzlich problematisch wird das Vorhaben dadurch, dass der politische Konnex ja künstlich hergestellt werden kann: etwa indem ein Sachverhalt, dessen Aufdeckung einem Politiker oder seiner Partei unangenehm wäre, gezielt zum Gegenstand einer parlamentarischen Aktion gemacht wird. Schon würde die neue Immunität greifen.

Der Experte zeigt auch auf, was alles offenbar unbedacht vom Ermittlungsverbot umfasst wäre: Da wären einmal strafbare Handlungen, bei denen die Abgeordneten Opfer sind – etwa indem sie genötigt oder erpresst werden, so oder anders abzustimmen. Einen direkteren Zusammenhang mit der Parlamentsarbeit kann es kaum geben – und doch kann das Ermittlungsverbot wohl so nicht gemeint sein. Ferner: Neben kriminalpolizeilichen oder staatsanwaltlichen würden auch sicherheitspolizeiliche Ermittlungen – sie dienen der Abwehr von Gefahren – umfasst. Burgstaller bringt ein Beispiel: Ein anonymer Anrufer sagt einem Journalisten, er werde eine in einer Schule deponierte Bombe zünden, sollte ein bestimmter Beschluss des Nationalrats fallen. Während derzeit alle Hebel in Bewegung gesetzt würden, um die Realisierung der Drohung zu verhindern, wären künftig den Behörden die Hände gebunden. „Ein krasses Beispiel“, gibt Burgstaller zu, aber eines, das zeige, wie verfehlt das Konzept des Ermittlungsverbots sei.

Die Abgeordneten haben bei ihrer Initiative – als deren eigentlicher Motor gelten die Grünen um Peter Pilz – auch an den Fall gedacht, dass entgegen dem Verbot ermittelt wird. Dann soll einerseits der Rechtsschutzbeauftragte (des Justiz-, Innen- oder Verteidigungsministeriums) einschreiten. Er muss von allen Ermittlungsmaßnahmen, die einen Abgeordneten „betreffen“ informiert werden. Schöpft er Verdacht, dass – wegen eines politischen Zusammenhangs – das Ermittlungsverbot verletzt ist, muss er den Abgeordneten verständigen; ist der Verstoß gegen das Verbot „offensichtlich“, muss er darüber hinaus selbst die Ermittlungen untersagen. Er wird damit plötzlich zu einem obersten Weisungsorgan, das sogar Ministerweisungen umdrehen könnte – verfassungsrechtlich völlig unmöglich, wäre der Initiativantrag nicht selbst als eine Verfassungsbestimmung geplant.

Erfährt ein Abgeordneter von Ermittlungen, die er für verboten hält, kann er den Nationalrat anrufen. Auch hier wird die geltende Rechtslage gleichsam auf den Kopf gestellt: Bisher galt die Zustimmung zur Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten als erteilt, wenn der Nationalrat nicht binnen acht Wochen darüber entscheidet; künftig sollen Ermittlungen und die Verwertung ihrer Ergebnisse automatisch unzulässig werden, wenn der Nationalrat in derselben Frist nicht entscheidet.

Zeugen können sich entschlagen

Die Ausweitung der Immunität soll schließlich noch durch ein neues Zeugnisverweigerungsrecht ergänzt werden; es wird dem Redaktionsgeheimnis nachgebildet und soll verhindern, dass Abgeordnete als Zeugen Informanten ans Messer liefern müssen. Hier sieht Burgstaller vor allem ein Problem mit der Reichweite des Entschlagungsrecht: Dieses kann nämlich vertraglich auf einen beliebigen Kreis von Personen ausgedehnt werden, die auf welche Weise immer an der parlamentarischen Arbeit mitwirken. „Auch das macht die Ermittler chancenlos!“

Burgstaller akzeptiert das Bedürfnis von Abgeordneten nach angemessenem Schutz vor behördlicher Verfolgung. Dem stehe aber das Interesse an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gegenüber; und dieses dürfe nur soweit eingeschränkt werden, wie vor den Bürgern überzeugend argumentiert werden könne. Der Antrag solle daher überdacht werden.

Zur Person

Manfred Burgstaller ist emeritierter Professor für Strafrecht an der Universität Wien. Seit März 2009 ist Burgstaller Rechtsschutzbeauftragter beim Innenministerium. Ihm obliegt damit gleichsam stellvertretend die Kontrolle von sicherheitsbehördlichen Maßnahmen, die die Betroffenen selbst üblicherweise nicht bemerken (z.B. Ermittlung von Standortdaten, Observation).

Auch die geplante Neugestaltung der Immunität von Abgeordneten sieht eine Einschaltung der Rechtsschutzbeauftragten – es gibt auch jeweils einen beim Justiz- und beim Verteidigungsministerium – vor.
[Stanislav Jenis]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2011)

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