Privatsphäre: Schmerzengeld für Doktorspiele

Schmerzengeld fuer Doktorspiele
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Ein Mann wurde strafrechtlich freigesprochen, obwohl er die Intimsphäre eines siebenjährigen Mädchen verletzt hatte. Zivilrechtlich hat er aber Schadenersatz zu leisten.

Wien. Der Oberste Gerichtshof präzisiert in einem aktuellen Urteil seine Rechtsprechung zum Schmerzengeld. Im Mittelpunkt steht ein offenbar Pädophiler, der mit einem siebenjährigen Mädchen Doktorspiele ausübte. Wenngleich der Vorarlberger wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen bereits vorbestraft war, wurde er diesmal freigesprochen. Die Doktorspiele seien keine „geschlechtliche Handlung“ im Sinne der Strafnormen, meinte das Höchstgericht.

Dem Kind blieb aber noch die Chance, zivilrechtlich Schmerzengeld einzuklagen. Schließlich war das Verhalten des Mannes höchst problematisch. Er hat das Mädchen zu sich eingeladen, ohne die Eltern davon zu verständigen. Zuerst half er ihr bei den Hausaufgaben und spielte mit ihr Karten, dann aber überredete er sie zum Doktorspiel: Er begann, das Kind zu entkleiden, tastete den Bauch ab und legte sein Ohr darauf. In weiterer Folge hob der Mann den Bund der Unterhose hoch und betrachtete das entblößte Kind. Später schickte er das Mädchen wieder nach Hause. Mehrere Leute hatten die Siebenjährige bereits gesucht. Als das Kind wieder auftauchte, erstattete die Familie Anzeige. Das Mädchen musste Befragungen und eine gynäkologische Untersuchung über sich ergehen lassen.

Zwei Jahre lang Nachwirkungen

Besonders schlecht nahm das Kind aber ein Explorationsgespräch auf, das geführt wurde, um ein kinderpsychologisches Gutachten im Strafverfahren einzuholen. Die Siebenjährige reagierte psychosomatisch, sie musste erbrechen. Damit war die Tortur noch lange nicht vorbei: Zwei Jahre lang schlief das Mädchen sehr schlecht, Träume verängstigten das Kind. Auch zog es sich immer wieder zurück und litt unter Affektstörungen. Die Störungen gingen so weit, dass sie einer Krankheit gleichkamen. Ausgelöst worden waren diese aber weniger durch die Doktorspiele selbst, als durch das Prozedere, das das Kind danach erdulden musste.

Im nunmehrigen Zivilprozess forderte das Mädchen (bzw. ihre Mutter als gesetzlicher Vertreter) 6500 Euro Schmerzengeld. Der Mann wandte ein, er habe das Kind nicht missbraucht, und auch das Kind habe die Doktorspiele gewollt. Zudem seien die Probleme nicht durch das „Spiel“ entstanden, sondern dadurch, wie ihr Umfeld auf den Vorfall reagierte. Das Landesgericht Feldkirch sprach dem Mädchen das Geld zu. Denn die behördlichen Erhebungen, die das Kind so belasteten, habe es nur gegeben, weil der Mann zuvor eine rechtswidrige Körperverletzung gesetzt habe. Das Oberlandesgericht Innsbruck bestätigte das Urteil: Die erst Siebenjährige habe den Doktorspielen gar nicht rechtswirksam zustimmen können. Die zweite Instanz begründete das Urteil mit §1328a des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB). Dieser sieht Schadenersatz vor, wenn ein Mensch in seiner Privatsphäre verletzt wurde. Das sah der Übeltäter anders: § 1328a sei eng auszulegen und erfasse etwa nur das Lesen fremder Post oder eine rechtswidrige Telefonüberwachung, meinte der Mann bei seiner Revision an den Obersten Gerichtshof (OGH).

Gegen zentrale Norm verstoßen

Doch auf diese Frage gingen die Höchstrichter – diesmal war ein anderer Senat am Werk als jener, der die strafrechtliche Seite der Tat beurteilt hatte – gar nicht erst ein. Denn der OGH (4 Ob 200/11g) fand einen anderen Paragrafen, aus dem sich der Schadenersatz ableiten lässt. Die Richter beriefen sich auf die „Zentralnorm“ des §16 ABGB, nach dem jeder Mensch „angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte“ hat. Und das Verhalten des Mannes greife schwerwiegend in die so geschützte Privatsphäre ein. Zudem sei der persönliche Lebensbereich auch durch die Menschenrechtskonvention geschützt. Da der Mann somit gegen Normen verstoßen hat, muss er Schmerzengeld leisten.

Auf einen Blick

Der OGH beruft sich auf § 16 ABGB, um einen pädophilen Mann zu Schadenersatz zu verurteilen. In der Norm heißt es: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten.“ Dieser Paragraf sei „nicht bloß Programmsatz, sondern Zentralnorm der österreichischen Rechtsordnung mit einem normativen, subjektive Rechte gewährenden Inhalt“, betonten die Richter. Der Mann, der Doktorspiele mit einem Mädchen ausgeübt hatte, habe gegen § 16 verstoßen, sagt der OGH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2012)

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