U-Ausschüsse: Kein Schutz der Grundrechte

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Muss der Rechtsschutz draußen bleiben, wenn der parlamentarische Untersuchungsausschuss arbeitet? Wer sich gegen Maßnahmen der Parlamentarier wehren will, hat schlechte Karten.

[Graz] Im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses des Nationalrats ereignet sich geradezu regelmäßig eine Auseinandersetzung darüber, in welchem Umfang ein Ministerium dem Ausschuss Akteninhalte mitteilen muss: Der Ausschuss wünscht bestimmte Akteninhalte zu erfahren, das Ministerium beruft sich auf seine Verpflichtung zum Datenschutz und liefert dem Ausschuss nur Teile des angeforderten Aktenbestandes oder Aktenstücke mit „Schwärzungen“. Und auf eine solche Aktion folgen dann Proteste von Ausschussmitgliedern.
Derartige Vorgänge mögen den Anschein erwecken, es gehe um eine Machtfrage, also darum, wer letztlich stärker ist, das Parlament oder die Vollziehung. Tatsächlich stehen dahinter aber sehr ernste Probleme der Rechtsstaatlichkeit. Zunächst geht es einmal um die Reichweite des § 25 Abs 2 der Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse (VO-UA). Dieser besagt: „Alle öffentlichen Ämter haben auf Verlangen ihre Akten vorzulegen.“ Es lässt sich darüber streiten, ob dies bedeuten kann, dass ein Ministerium auch Akten vorlegen muss, die vom U-Ausschuss zwar verlangt werden, aber nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun haben. Und es lässt sich darüber streiten, ob das Ministerium nicht doch auf den Datenschutz achten muss. Das Grundrecht auf Datenschutz darf nämlich nach § 1 DSG nur „zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen“ durch gesetzliche Regelungen beschränkt werden, die „angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen“.

Rechtsstaat vs. Kontrollrechte


Dahinter steht aber eine Frage von zentraler Bedeutung, nämlich jene nach der Effektivität des Rechtsstaatsprinzips im Hinblick auf die Praxis der Wahrnehmung parlamentarischer Kontrollrechte.
Den Inhalt des Rechtsstaatsprinzips, also den Inhalt eines jener „Baugesetze“ der Bundesverfassung, die nicht zur Disposition des Parlaments stehen, sondern in die nur durch eine Volksabstimmung eingegriffen werden kann, hat der Verfassungsgerichtshof wie folgt umschrieben: „Dem rechtsstaatlichen Prinzip entspricht es, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen, und dass für die Sicherung dieses Postulates wirksame Rechtsschutzeinrichtungen bestehen“ (VfSlg 2929/1955).
Der Gerichtshof spricht im Zusammenhang mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernis wirksamer Rechtsschutzeinrichtungen von Akten staatlicher Organe schlechthin. Er nimmt also Akte der Staatsfunktion Gesetzgebung nicht aus. Aber die Rechtsvorschriften, welche die Tätigkeit von Untersuchungsausschüssen des Nationalrats regeln, sehen keinerlei Möglichkeit vor, gegen Gesetzesverletzungen durch den Ausschuss oder durch Mitglieder des Ausschusses Rechtsschutz zu erlangen. Dies ist in der Vergangenheit mehrfach zum Problem geworden. So ist es vorgekommen, dass Ausschussmitglieder – unter Verletzung ihrer in der VO-UA normierten Pflicht – Informationen elektronisch veröffentlicht haben, ohne dass es den Betroffenen möglich gewesen wäre, sich dagegen zu wehren. Und es ist sogar vorgekommen, dass ein Untersuchungsausschuss eine zwangsweise Vorführung – also einen Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit – angeordnet hat, ohne dass es möglich gewesen wäre, die Zulässigkeit dieser Maßnahme prüfen zu lassen. Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich die Möglichkeit einer Überprüfung mit folgender Begründung verneint: „Akte, die von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen bzw. in deren Auftrag gesetzt werden, gehören zur Staatsfunktion Gesetzgebung und können als solche weder von den Unabhängigen Verwaltungssenaten noch vom Verfassungsgerichtshof überprüft werden“ (VfSlg 18406/2008).
Der Verfassungsgerichtshof hat augenscheinlich auch keinen Anstoß an der gesetzlichen Grundlage derartiger Anordnungen genommen (§ 3 Abs 3 VO-UA). Der Gerichtshof hat es also ungeachtet seiner eigenen Judikatur zum Inhalt des Rechtsstaatsprinzips als zulässig erachtet, dass sich ein staatliches Organ selbst ermächtigt, Eingriffe in Grundrechte vorzunehmen, gegen die es keinerlei Rechtsschutz gibt.

Widerspruch zu Menschenrechten


Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die die Mängel der derzeitigen für Untersuchungsausschüsse maßgeblichen Rechtslage thematisiert und die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs kritisiert haben. So hat ein Autor, der selbst als Verfahrensanwalt gewirkt hat, der also die Funktion jenes Organs ausgeübt hat, das den Schutz der Grund- und Persönlichkeitsrechte von Auskunftspersonen gewährleisten soll, beklagt, dass es keinen effektiven Rechtsschutz gegen Handlungen von Mitgliedern von Untersuchungsausschüssen gibt. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass die Ansicht des Verfassungsgerichtshofs im Widerspruch zu Art 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Denn diese Bestimmung verlangt eine Möglichkeit einer wirksamen Beschwerde zur Durchsetzung von Grundrechten. Die Österreichische Juristenkommission hat sich 2010 dieser Kritik angeschlossen.
So zeigt sich, dass die derzeit geltende Rechtslage und die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs dazu unter dem Blickwinkel des Rechtsstaatsprinzips sehr bedenklich und nicht geeignet sind, das Vertrauen in die parlamentarische Kontrolle zu fördern. Im Interesse einer Stärkung der moralischen Legitimation und auch der Effektivität eines wichtigen Instruments zur Aufklärung von Missständen wäre es dringend geboten, bei der Ausübung parlamentarischer Kontrolle den Grundrechtsschutz zu gewährleisten.Univ.-Prof. Dr. Gerhart Wielinger lehrt am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Graz.

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