Alkoholverbot: Rote Linie, roter Faden

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Graz verbietet in Teilen der Innenstadt den Konsum von mitgebrachtem Alkohol. Aber ist es nötig, die Freiheit der Menschen derart zu begrenzen? Ein Gastkommentar.

Wien. Dass auf den Feiertag die Ernüchterung folgt, ist an sich nichts Außergewöhnliches. Der umfassende Anspruch, mit dem der Grazer Stadtsenat rechtliche Konsequenzen aus diesem faktischen Befund ableitet, ist aber doch bemerkenswert: Mit Amtsblatt vom 2. Mai wurde unter dem Titel „Erweiterung der Alkoholverbotszonen im innerstädtischen Bereich“ eine Verordnung kundgemacht, die den Konsum von Alkohol in weiten Teilen der Innenstadt verbietet. Ausnahmen bilden behördlich genehmigte Veranstaltungen sowie die Alkoholausschank in Gastgärten und an Marktständen. Genaueres zum Geltungsbereich des Verbots ist einem der Verordnung angefügten Plan zu entnehmen, in dem die betroffenen öffentlichen Straßen und Plätze durch eine rote Linie abgegrenzt sind.

Die Versuchung, in dieser roten Linie den roten Faden einer Gesellschaftspolitik zu erkennen, die – über Partei- und Bundesländergrenzen hinweg – vermehrt auf politische Einzelmaßnahmen mit Verbotscharakter setzt, um das menschliche Zusammenleben friktionsfrei zu gestalten, ist groß. Nach den vielerorts erlassenen generellen Bettelverboten erreicht die Tendenz, Politik mithilfe von Pönalen zu betreiben, im Verbot öffentlichen Alkoholkonsums einen neuen Kulminationspunkt.

Die Zulässigkeit solcher Verbote ist ein juristisches Problem; ihre Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung ist alles andere als gesichert. Das zu klären ist letztlich Sache des Verfassungsgerichtshofs. Zu oft allerdings, so hat es den Anschein, wird die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit derartiger Verbotsregelungen mit jener danach vermengt, ob das Instrument sanktionsbewährter rechtlicher Regulierung denn auch gesellschaftspolitisch das Mittel der Wahl sein sollte; mit zunehmender Beständigkeit scheint eine solcherart notwendige Differenzierung in der Masse an Berichten über gemeinhin als unerwünscht angesehene Erscheinungsformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens unterzugehen.

Dieser Gastkommentar versteht sich weder als Apologie jener Praxis, die unter dem Begriff „Komasaufen“ firmiert, noch will er in quasianarchistischer Manier dafür plädieren, zu tun und zu unterlassen, was gerade beliebt – öffentlich oder privat. Menschliches Zusammenleben braucht Regeln; auch und insbesondere, um einen Ausgleich zwischen konfligierenden Interessen Einzelner oder bestimmter Gruppen zu schaffen. Insoweit dient die Rechtsordnung nicht zuletzt dazu, dem Individuum die Realisierung seiner Freiheit im Gesellschaftsverband zu ermöglichen; also vereinfacht, sein Leben nach eigenem Dafürhalten zu gestalten, solange andere dadurch nicht beeinträchtigt werden.

Nicht gleich die Polizei rufen

Die Kardinalfrage dabei ist naturgemäß, wo die Grenze zu ziehen ist. Denn: Ein freier Mensch, so hat etwa der Ökonom Mises vor mehr als 80 Jahren festgehalten, muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen. Politische Rhetorik eines Ultraliberalen? Vielleicht. Jedenfalls aber ein Konzept, das den Grundlagen unseres Verfassungs- und damit jenen unseres Gesellschaftssystems keineswegs fremd ist. Freilich: Freiheit zu haben und ausüben zu können, so lehrt uns die Struktur der österreichischen Grundrechtsordnung, ist stets mit Verantwortung verbunden. Und vor allem: Freiheit kann missbraucht werden. Dann jedenfalls liegt es am Staat, ordnend einzugreifen. Ob diese Dringlichkeit allerdings demjenigen gegenüber anzunehmen ist, der vor dem Erzherzog-Johann-Brunnen eine mitgebrachte Flasche Bier konsumiert, ist rechtlich wie politisch gleichermaßen fraglich.

Mit alldem soll nicht unterstellt werden, die Funktion des Staates beschränke sich auf seine Rolle als Nachtwächter, dem es nicht zukommt, gesellschaftspolitische Leitbilder zu entwerfen und umzusetzen. All das pauschal zu verbieten, was andere als störend empfinden könnten, ist aber als politisches Programm weder überzeugend noch tragfähig. Zwar kann und muss ein gesellschaftspolitscher Gestaltungsanspruch bisweilen mit generellen Verboten arbeiten; als Allheilmittel mit Garantie auf rasche Linderung gesellschaftlicher Probleme hätten sich Pauschalverbote aber bislang nicht hervorgetan. Enttäuschte Erwartungen scheinen programmiert.

Breitere Diskussion nötig

Allein schon deshalb ist es angezeigt, eine breitere Diskussion über die Freiheit des Einzelnen im Gesellschaftsverband und das Gewicht gegebenenfalls gegenläufiger öffentlicher Interessen zu führen, als das zurzeit der Fall ist; also politisch die Frage zu beantworten, welches gesellschaftliche Leitbild in der eingangs thematisierten und in vergleichbar gelagerten Fragen realisiert werden soll, statt solche Fragen unter dem Gesichtspunkt rechtlicher Zulässigkeit mehr und mehr an die Gerichte zu delegieren. Das mag dazu führen, die angesprochene rote Linie im übertragenen wie im eigentlichen Wortsinn neu zu ziehen. Nach dem vorliegenden Plan befindet sich jedenfalls der Grazer Freiheitsplatz nicht innerhalb ihrer Grenzen. Noch nicht. [Istochphoto]

Dr. Christoph Bezemek und
Dr. Claudia Fuchs sind Assistenzprofessoren am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der WU Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2012)

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