Neue Verwaltungsgerichte: Neun plus zwei statt 120 Behörden

Neue Verwaltungsgerichte Neun plus
Neue Verwaltungsgerichte Neun plus(c) Erwin Wodicka
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Morgen soll im Nationalrat eine der bedeutsamsten Verfassungsänderungen der Zweiten Republik beschlossen werden.

Bregenz. Ein immer wieder gescheitertes Projekt steht unmittelbar vor seiner Realisierung: Morgen, Dienstag, soll die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle im Nationalrat beschlossen werden. Das Vorhaben ist nach dem EU-Beitritt die bedeutsamste Verfassungsänderung der Zweiten Republik. Die Regierungsvorlage beruhte auf einem im Österreich-Konvent erzielten Konsens. Nach ihrer Beschlussfassung kann definitiv nicht mehr behauptet werden, der Konvent habe „nichts zusammengebracht“.

Der Rechtsschutz im Verwaltungsrecht wird vollständig neu geordnet: In jedem der neun Länder wird ein Landesverwaltungsgericht eingerichtet. In die Landesverwaltungsgerichte werden die Aufgaben der Unabhängigen Verwaltungssenate integriert. Zwei Verwaltungsgerichte des Bundes übernehmen bisher von Bundesbehörden entschiedene Angelegenheiten: Das „Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen“ erhält die Aufgaben des unabhängigen Finanzsenats; im „Verwaltungsgericht des Bundes“ werden Asylsachen, UVP- und Vergabeangelegenheiten des Bundes konzentriert.

Die Bedeutung der Reform zeigt sich auch darin, dass insgesamt ca. 120 weisungsfreie Berufungsbehörden des Bundes und der Länder abgeschafft werden und ihre Kompetenzen in den Verwaltungsgerichten aufgehen. Ab dem 1. Jänner 2014, wenn die neuen Verwaltungsgerichte ihre Arbeit aufnehmen, ist es mit all diesen Einrichtungen vorbei. Die Frist ist nicht allzu lang, bedarf es für einen reibungsfreien Übergang doch einiger organisatorischer Umstellungen.

Ab 2014 wird grundsätzlich gegen jeden Bescheid einer Verwaltungsbehörde unmittelbar Beschwerde an ein Verwaltungsgericht geführt werden können. Offen ist, inwieweit es im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden einen Instanzenzug geben wird: Der zuständige Gesetzgeber wird zu entscheiden haben, ob der Rechtszug vom Bürgermeister direkt an das Landesverwaltungsgericht führt oder ob der Gemeinderat oder eine Berufungskommission in der Gemeinde vorgeschaltet wird.

Die lange umstrittene Frage, ob die Verwaltungsgerichte angefochtene Bescheide nicht nur aufheben, sondern auch abändern und damit ihre Entscheidung an die Stelle der Verwaltungsbehörde setzen dürfen, ist entschieden: Die Verwaltungsgerichte können Bescheide in jede Richtung abändern. Es kommt daher zu keinem Pingpongspiel zwischen Verwaltungsbehörde und -gericht.

Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte können beim Verwaltungsgerichtshof angefochten werden. Wirft die Beschwerde keine Rechtsfrage auf, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil sie beispielsweise in der bisherigen Judikatur strittig war, kann der VwGH die Behandlung ablehnen.

System kann durcheinandergeraten

Dieses System kann durcheinandergeraten: So kann der Bund – mit Zustimmung der Länder – den Verwaltungsgerichten der Länder Zuständigkeiten aus dem Bereich des Bundes übertragen. Er kann ihnen aber auch– wieder mit Zustimmung der Länder – Zuständigkeiten entziehen. Schließlich können auch die Länder – mit Zustimmung des Bundes – den Verwaltungsgerichten des Bundes Zuständigkeiten übertragen. Sollten Kompetenzen in größerem Umfang hin- und hergeschoben werden, was nicht zu hoffen ist, könnte man wohl nicht mehr von einem übersichtlichen Rechtsschutz sprechen.

Die Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung werden systemwidrig dem Verwaltungsgericht des Bundes übertragen. Das war der Preis für die Zustimmung der Oppositionsparteien. Diese Regelung kann man bei länderübergreifenden Infrastrukturprojekten noch als sinnvoll betrachten. Weshalb die Rechtsmittelinstanz für einen Golfplatz in Tirol in Wien sein soll, ist sachlich nicht nachzuvollziehen. – Unter dem Strich bleibt trotzdem eine für die Rechtsstaatlichkeit Österreichs bedeutsame Leistung.

Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Vorarlberger Landtages und Direktor des Instituts für Föderalismus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)

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