Staaten müssen lernen, Steuerkuchen besser zu teilen

Staaten muessen lernen Steuerkuchen
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OffshoreLeaks: Die Wurzel des Übels der Steuerflucht liegt nicht bei den Steuerpflichtigen allein, sondern vor allem in der Fehlerhaftigkeit und mangelnden Abstimmung der Steuersysteme.

Wien. Gegen Transparenz und richtige Besteuerung ist nichts einzuwenden: Es ist nicht nur unfair, wenn Privatpersonen Einkommen im Ausland verstecken, das sie in Österreich versteuern sollten, sondern auch wettbewerbsverzerrend, wenn Unternehmen außerhalb der legalen Möglichkeiten Gewinne unversteuert lassen. Aber Achtung: Die Wurzel dieses Übels liegt nicht nur im Verhalten der Steuerpflichtigen selbst, sondern vor allem in der Fehlerhaftigkeit und mangelnden internationalen Abstimmung der Steuersysteme.

Besteuerung knüpft an die Rechtsform an: Es besteht daher ein Anreiz zur Errichtung von steuerlich abschirmenden Kapitalgesellschaften im niedrig besteuerten Ausland. Das bringt Abgrenzungsprobleme: Welches ausländische Gebilde gilt als Kapitalgesellschaft? Gilt eine solche, wenn „ohne Substanz“ ausgestattet, als missbräuchlich, kann sie einfach „weggedacht“ werden? Was ist Substanz? Wie viel davon braucht man? Reicht ein Gründungsdokument, braucht man Angestellte und Bürotürme?

Die Erfassung der Einkommen von ausländischen Tochtergesellschaften im Konzern ist weltweit völlig unterschiedlich geregelt. Auch daraus ergeben sich viele Gestaltungsmöglichkeiten. Die steuerliche Ansässigkeit von Gesellschaften kann unterschiedlich beurteilt werden: Sitz oder Geschäftsleitung, oder beides? So wollen die USA bestimmte Gesellschaften des Apple-Konzerns trotz Sitz im Ausland nicht als Steuerausländer anerkennen, weil die wesentlichen Geschäftsentscheidungen in Cupertino, Kalifornien, getroffen werden.

Auch Kapitalinstrumente können unterschiedlich beurteilt werden: als Eigenkapital (dann sind Zahlungen an Kapitalgeber beim Unternehmen nicht abzugsfähig, jedoch bei institutionellen Empfängern steuerfrei) oder als Fremdkapital (darauf anfallende Zinszahlungen sind beim zahlenden Unternehmen von der Steuer abzuziehen und beim Empfänger zu besteuern). Je nach Qualifikationskonflikt kommt es dann zu einer Doppelbesteuerung oder Doppelnichtbesteuerung.

Der internationale Standard ist mittlerweile, dass Einkommen von multinationalen Konzernen nach der Wertschöpfung in den jeweiligen Ländern besteuert werden. Das wirft viele betriebswirtschaftliche Fragen auf und erfordert Funktions- und Risikoanalysen. Mit dieser internationalen Aufteilung des „Steuerkuchens“ sind Finanzbehörden vielfach noch überfordert.

Bei der Verlagerung von Ertragspotenzialen, also wenn Fabriken geschlossen und neu aufgebaut werden, Patente und Lizenzen gesammelt und damit international verlagert werden, stellt sich die Frage, welche Werte erfasst und besteuert werden. Hier gibt jedes Land unterschiedliche Antworten, was zu Doppel- oder auch Gar-nicht-Besteuerungen führt.

Gift für die Rechtssicherheit

Bisher wollten die Staaten durch eigene Missbrauchsbestimmungen Doppelnichtbesteuerungen vermeiden. Von Staat zu Staat unterschiedliche Missbrauchsbestimmungen sind aber problematisch, weil sie Gift für die Rechtssicherheit sind. Sie werden nicht nur von Staat zu Staat, sondern sogar von Fall zu Fall verschieden ausgelegt – naturgemäß immer so, dass sie jedem Staat am meisten bringen, was zur Doppelbesteuerung führt. Folge: langwierige internationale Verständigungsverfahren zwischen den Staaten, die den Beteiligten oft mehr Kosten als Nutzen bringen.

Hier ist mehr Rechtssicherheit erforderlich. Internationale Fälle müssen von einer internationalen Instanz entschieden werden, die Licht ins internationale Steuerdickicht bringt. Innerhalb der EU würde sich der EuGH anbieten. Letztendlich können steuerliche Transparenz und Rechtssicherheit aber nur durch ein einheitliches, international abgestimmtes Steuerrecht erzielt werden.

Der Aktionsplan gegen Steuerbetrug der Europäischen Kommission, die Vorschläge der OECD zur Bekämpfung von „base erosion“ und „profit shifting“, die Bestrebungen der G20 zum internationalen Informationsaustausch und zuletzt OffshoreLeaks haben den öffentlichen Druck für eine einheitliche internationale Stoßrichtung zur Transparenz verstärkt.

Damit kehrt sich die Situation für die Unternehmen komplett um: Man rollt nicht mehr den roten Teppich in Gestalt von Standortvorteilen aus, sondern macht Jagd auf das (erhoffte) Steuerpotenzial. Das ist eine schwierige Situation für Unternehmen: Erhebliche Steuernachzahlungen, die zu Liquiditätsbelastungen führen, können folgen. Investitions- und Ausschüttungsstopps können Nachteile im Wettbewerb, aber auch für die Anleger (sinkende Aktienkurse) bewirken. Eine Abwärtsspirale kann sich auftun, die volkswirtschaftliche Relevanz haben kann.

Daher müssen auch für die Staaten folgende Prinzipien oberste Priorität haben:

•Fair Play bei den zu erwartenden Nachforschungen: Nicht jede Gestaltung ist steuerlich unzulässig. Betriebswirtschaftlich vernünftig begründete Lösungen sind zu akzeptieren, auch komplexere Gestaltungen sind steuerlich nicht von vornherein zu negieren, denn sie haben oft gute Gründe (branchenregulatorische Aspekte, rechtliche Beschränkungen im Ausland etc.). Eine besondere Aggressivität der Betriebsprüfung hilft niemandem: Das bloße Abstellen auf bestimmte Länder mit niedrigen Steuern, ohne betriebswirtschaftliche Gründe zu berücksichtigen, führt nur zu elendslangen Verfahren.

•Der Vertrauensgrundsatz muss weiter gelten: Wenn Unternehmen ihre Gestaltungen auf Auskünften der Steuerbehörden aufgebaut haben, muss dies für die Vergangenheit halten und bei einer Neubeurteilung auch für die Zukunft Bestand haben. Hier muss das rechtsstaatliche Prinzip oberste Priorität haben, sonst wird der Wirtschaftsstandort langfristig geschädigt, und Investoren suchen sich andere Alternativen, was letztendlich Arbeitsplätze kostet.

•Trennung zwischen echter Steuerhinterziehung und vertretbarer Gestaltung: Eine Kriminalisierung der Wirtschaft ist das Letzte, was wir in der schwierigen Wirtschaftslage brauchen können. Steuergestaltung findet in einem komplexen Rechtsbereich statt und passt nur in Extremfällen ins Schwarz-Weiß-Schema des Strafrechts. Strafrecht muss die Ultima Ratio bleiben!

Vertrauen in Steuersysteme

Jeder Industriestaat, besonders in Europa, muss gut überlegen, wie er wettbewerbsfähig bleibt. Dafür werden Merkmale wichtiger werden, die bislang bei Steuersystemen keine überragende Bedeutung hatten. An der Spitze werden Vertrauen, Effizienz und Berechenbarkeit der Steuerverwaltung stehen, gefolgt von einer sinnvollen Staats- und Steuerquote, denn Staaten werden auch danach beurteilt, wofür sie Steuern einheben.

Die Steuerstrategie und damit die Attraktivität eines Staates wird weiters daran gemessen werden, ob die Erhebung unternehmens- und leistungsfreundlich ist. Dafür werden als Maßzahlen insbesondere der Körperschaftsteuersatz und der Einkommenstarif gelten.

MMag. Dr. Gröhs ist Steuerberater und Partner bei Deloitte Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2013)

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