Rechtsanwalt Heid: „Der ORF riskiert viel“

 Stephan Heid
Stephan Heid (c) IG Lebenszyklus Hochbau (IG Lebenszyklus Hochbau)
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Der Vergaberechtsspezialist Stephan Heid kritisiert das Vorgehen des ORF bei seiner aktuell größten Ausschreibung, der Generalplanung für die Sanierung des Küniglbergs.

Die Presse: Vor einem Jahr entschied das Bundesvergabeamt (BVA), dass der ORF als öffentlicher Auftraggeber zu qualifizieren ist. Den rechtskräftigen Bescheid hat der ORF beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bekämpft. Ungeachtet dessen fährt der ORF die Strategie, sich weiter als nicht öffentlichen Auftraggeber zu bezeichnen – etwa bei seinem aktuell größten Auftrag, der Generalplanung für die Sanierung des Küniglbergs. Überrascht Sie sein Vorgehen?

Stephan Heid: Ja sehr, zumal der Bescheid des BVA ausgezeichnet ist. Der Senat war sich der Bedeutung der Entscheidung voll bewusst. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der VwGH den Bescheid nicht aufheben.

Aus Zeitgründen konnte der ORF die Entscheidung des VwGH wohl nicht abwarten. Die wird erst im Laufe des nächsten Jahres fallen. Die Sanierung soll aber schon dieses Jahr starten. Wären Sie Anwalt des ORF, wozu hätten Sie ihm geraten?

Ich hätte ihm empfohlen, sich an den rechtskräftigen Bescheid des BVA zu halten, bis der VwGH entschieden hat. Das heißt für den ORF konkret, nach den Regeln des Bundesvergaberechts (BVergG) auszuschreiben. Dann hätte er in seiner Bekanntmachung das BVA als zuständige Kontrollbehörde nennen müssen und nicht die ordentlichen Gerichte, so wie er das getan hat.

Ist es nicht irrelevant, welche Behörde der ORF in seiner Ausschreibung als die zuständige bezeichnet? Wer die Kontrollinstanz ist, kann ja nicht der Auftraggeber festlegen. Wenn das BVA zuständig ist, bleibt es das auch, egal, was der ORF schreibt.

Natürlich obliegt die Behördenzuständigkeit nicht der Disposition der Parteien. Das Vorgehen des ORF ist dennoch relevant, weil er damit die Bieter offensichtlich in die Irre führen wollte. Das ist auch gelungen. Niemand hat ein Nachprüfungsverfahren angestrengt, unter anderem, weil der ORF die Gerichte als Kontrollbehörde nennt. Das hat sicherlich viele abgeschreckt.

Wieso?

Der Unterschied liegt im Rechtsschutz. Das BVA kann ohne anwaltliche Hilfe und daher kostengünstiger angerufen werden, es entscheidet viel schneller und hat schärfere Sanktionsmöglichkeiten.

Der ORF sagt, er wende zu 100 Prozent das Vergaberecht an.

Der ORF nennt seine Bekanntmachung „freiwillig“. Das BVergG kennt aber kein Verhandlungsverfahren nach „freiwilliger“ Bekanntmachung. Daher handelt es sich meines Erachtens um eine unzulässige Direktvergabe, die bis zu sechs Monate nach Vertragsabschluss mit einem Feststellungsantrag beim BVA von jedem interessierten Unternehmen bekämpft werden kann. Der abgeschlossene Vertrag könnte dann für nichtig erklärt werden.

Sie meinen, der ORF riskiert viel?

Absolut. In Folge eines Feststellungsantrages können Strafzahlungen verhängt werden, die bis zu 20Prozent des Auftragswertes betragen können. Genauso kann es zu einem Vertragsverletzungsverfahren vor der EU-Kommission kommen. Letztlich kann das Ganze mit finanziellen Nachteilen für den ORF enden. Und dann stellt sich die Frage, ob sich die handelnden Organe mit einer vertretbaren Rechtsauffassung auf dieses Wagnis eingelassen haben, denn immerhin gibt es einen rechtskräftigen Bescheid, den der ORF zu akzeptieren hat. Die Geschäftsführung muss damit rechnen, dass die Rechtsauffassung des BVA vor dem VwGH halten wird. Zwischenzeitig eingetretene Schäden werden offenbar in Kauf genommen – und zwar sehenden Auges.

Der Anwalt des ORF wird sicherlich auf diverse Risken aufmerksam gemacht haben.

Ich denke ja. Letztlich bleibt es die Entscheidung der Geschäftsführung. Dieses Thema sollte daher auch den Stiftungsrat interessieren. Er müsste mit dem Sachverhalt konfrontiert werden. Ich bin nicht sicher, ob er von den Details informiert ist und sie mitträgt. Nach dem ORF-Gesetz ist es jedenfalls seine Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen.

>>> Reaktion: ORF weist Vorwürfe scharf zurück

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2013)

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