All-in-Klauseln sind auch im Interesse der Dienstnehmer

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Arbeitsrecht. Die häufige Kritik, All-in-Verträge führten zwangsläufig zu einer ungenügenden Bezahlung von Überstunden, ist rechtlich unhaltbar.

Wien. Die Arbeiterkammer ruft ihre Mitglieder zu den Urnen – und so darf es niemanden verwundern, dass die verschiedenen Fraktionen den richtigen Wahlkampfschlager suchen. Dafür müssen anscheinend wieder einmal die All-in-Verträge herhalten. Derartigen Klauseln mit dem Ziel der pauschalen Abgeltung von Überstunden wird zumindest eine Mitschuld an der Arbeitsüberlastung vieler Mitarbeiter gegeben. Überhaupt würden All-in-Regelungen zu einer unfairen Leistungsabgeltung führen. Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass die Arbeiterkammer sogar von einer „Seuche“ spricht. Doch die meisten Behauptungen, mit denen gegen All-in-Regelungen gewettert wird, haben weder eine sachliche noch eine rechtliche Grundlage.

Arbeitsrechtlich gilt, dass All-in-Klauseln nichts an den im Arbeitszeitgesetz (AZG) vorgesehenen Höchstgrenzen für Überstunden ändern. Werden diese überschritten, müssen Unternehmen mit Verwaltungsstrafen rechnen. Daran können auch All-in-Klauseln nichts ändern. Darüber hinaus darf ein Mitarbeiter auch bei einer All-in-Regelung nur dann zu Überstunden herangezogen werden, wenn dem keine berücksichtigungswürdigen Interessen des Mitarbeiters entgegenstehen.

Gesundheit geht vor

Ist Überstundenarbeit zum Beispiel wegen der gesundheitlichen Konstitution oder der bisherigen Arbeitsbelastung nicht vertretbar, kann ein Mitarbeiter auch mit All-in-Regelung nicht zu einer solchen Arbeit gezwungen werden, obwohl er dafür pauschal entlohnt wird. All-in bewirkt somit keineswegs automatisch, dass die zeitlichen Anforderungen an die Mitarbeiter unbegrenzt gesteigert werden können. Auch können All-in-Klauseln keine Entgeltansprüche vernichten. Werden Überstunden geleistet, sind sie gemäß den gesetzlichen bzw. kollektivvertraglichen Regeln zu vergüten (grundsätzlich mit einem Zuschlag von 50 Prozent).

Eine All-in-Klausel bewirkt nur, dass die innerhalb eines bestimmten Durchrechnungszeitraums (meist zwölf Monate) anfallenden Überstunden durch einen Pauschalbetrag abgegolten werden: mit der Differenz zwischen dem kollektivvertraglichen Mindestgehalt und dem Istgehalt eines Arbeitnehmers. Sollte sich am Ende dieses Zeitraums herausstellen, dass dieser Pauschalbetrag zur Deckung der Überstunden nicht ausreicht, ist der „ungedeckte“ Überstundensaldo separat auszubezahlen.

OGH: Zeit zum Geltendmachen

Dieser Saldo kann dann in Ruhe geltend gemacht werden, da für Überstunden vorgesehene kollektivvertragliche Verfallsfristen erst nach Ende des Durchrechnungszeitraums zu laufen beginnen. Das hat der Oberste Gerichtshof in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung festgehalten (ObA 166/13x).

Das Argument, All-in-Klauseln führten automatisch zu einer unzureichenden Abgeltung von Überstunden, hat daher keine rechtliche Basis. Freilich kommt es vor, dass Mitarbeiter bestehende Überstundenansprüche nicht bzw. nicht rechtzeitig geltend machen. Dafür aber All-in-Klauseln verantwortlich zu machen, ist schlicht unsachlich.

Die regelmäßig erhobene Forderung, All-in-Regelungen nur auf das höhere Management anzuwenden, hinkt: Diese Ebene besteht hauptsächlich aus leitenden Angestellten, und die sind ohnehin vom gesetzlichen Anspruch auf Abgeltung von Überstunden ausgenommen. Die Anwendung einer All-in-Regelung ist hier also ohnehin nicht notwendig. Ausnahmsweise haben leitende Angestellte nach dem einschlägigen Kollektivvertrag trotzdem einen Überstundenanspruch. In diesem Fall besteht aber kein sachlicher Grund, All-in-Klauseln nur auf diese Gruppe anzuwenden und Mitarbeiter einer niedrigeren Ebene davon auszunehmen. Ein Überstundenanspruch bleibt ein Überstundenanspruch, unabhängig von Position, Ausbildung und Berufserfahrung eines Mitarbeiters. Die Anwendung von All-in-Klauseln nur auf Managementebene ist daher nicht zu befürworten.

Abgesehen von den rechtlichen Überlegungen ist schließlich zu fragen, ob eine Beseitigung von All-in-Regelungen überhaupt dem Wunsch der Mitarbeiter entspricht. Die betriebliche Praxis zeigt, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist. Mitarbeiter wünschen sich – vor allem in wirtschaftlich unsicheren Zeitpunkt – Lohnsicherheit. Und diese wird durch All-in weitestgehend gewährleistet. Ob während des Urlaubs oder sonst bezahlter Freizeit: Das aufgrund der All-in-Regelung erhöhte Gehalt wird jedenfalls bezahlt. Das gilt auch in Zeiten, in denen Mitarbeiter (z.B. wegen schlechter Konjunkturlage) wenig oder gar nicht zur Überstundenarbeit herangezogen werden. Diese Sicherheit sollte Arbeitnehmern nicht genommen werden.

Individuelle Bonussysteme

Flexible Arbeitszeitregeln, individuelle Bonussysteme, Modelle zur Familienförderung, Umdenken im Führungsstil: Das sind zukunftsträchtige Wege, die die Arbeitssituation nachhaltig verbessern können und durch die gleichzeitig unternehmerische Interessen nicht zu kurz kommen. Die Abschaffung von All-in-Klauseln wäre für diese Zwecke denkbar ungeeignet.


Dr. Philipp Maier, LL.M., ist Rechtsanwalt und Partner bei der Baker & McKenzie – Diwok Hermann Petsche Rechtsanwalt GmbH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2014)

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