Rückrufaktionen: Komm zurück!

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Jedes Unternehmen muss sofort handeln, wenn von einem seiner Produkte eine Gefahr ausgeht.

Wien. Sony befindet sich in guter Gesellschaft. Nachdem die Autohersteller General Motors, Chrysler, BMW und Toyota in den letzten Wochen ausgedehnte Rückrufaktionen starteten, pfeift nun der Elektronikkonzern Serien des Vaio-Notebooks zurück. Aufgrund einer Fehlfunktion können sich die in den Geräten fest verbauten Akkus – sie stammen von Drittanbietern – nämlich überhitzen und schlimmstenfalls zu einer Explosion des Computergehäuses führen.

Der Computerhersteller Lenovo beobachtete jüngst ein ähnliches Verhalten bei den von ihm verwendeten Lithium-Ion-Akkus und bat seine Kunden zum Austausch. Weshalb Rückrufaktionen mittlerweile zum wirtschaftlichen Alltag gehören, weiß Helmuth Perz vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK), Abteilung Produktsicherheit: „Einerseits hat das mit der globalisierten Wertschöpfungskette zu tun. Je komplexer die Zulieferkette ist, desto stärker wirkt sich ein einziger Fehler in der Produktion auf die Ware vieler Unternehmen aus.“ Andererseits seien Rückrufaktionen nicht mehr stigmatisiert: „Im Gegenteil, sie sind ein bewährtes Instrument geworden, unternehmerische Verantwortung zu zeigen. Sie kommen das Unternehmen zwar teuer, werden aber vom Kunden verziehen.“

Rückruf als letzte Maßnahme

Nach dem Produktsicherheitsgesetz 2004 (PSG 2004) sind all jene, die ein Produkt in Verkehr bringen, also nicht nur der Hersteller, sondern auch Importeure und Händler, zu Korrekturmaßnahmen verpflichtet, sobald von einem Produkt Gefahren ausgehen. So eine Maßnahme muss nicht gleich eine Rückholaktion sein. „Sie ist nur dann erforderlich, wenn die Gefahr nicht mit anderen Mitteln abgewendet werden kann“, sagt Rechtsanwalt Andreas Eustacchio. „Gegebenenfalls kann es ausreichen, eine öffentliche Warnung auszusprechen oder aber die Rücknahme des Produkts aus dem Vertriebs- und Händlernetz zu veranlassen.“ Die Entscheidung, ob ein Rückruf durchgeführt wird, liegt letztlich beim Management des Unternehmens. Entscheidend ist nicht unbedingt, ob das Risiko, das von dem fehlerhaften Produkt ausgeht, ein hohes ist. „Können viele Personen potenziell betroffen sein, wird man zum Rückruf tendieren oder auch dann, wenn die Gefahr besteht, dass es aufgrund der Fehlerhaftigkeit zu einer schwereren Verletzung eines Menschen kommen kann“, sagt Eustacchio. Nicht selten stoßen bei einer solchen Abwägung gegenläufige Interessen innerhalb des Unternehmens aufeinander. Während das Qualitätsmanagement schon längst „Rückruf!“ schreit, will die Marketingabteilung davon noch gar nichts wissen. „Darum ist es sinnvoll, Notfallspläne in ,Friedenszeiten‘ zu erstellen, sagt Perz, „denn jedes Unternehmen kann irgendwann ein Produktsicherheitsproblem bekommen.“

Egal auf welche Korrekturmaßnahme die Entscheidung fällt, das Unternehmen hat sie, so sieht es die Produktsicherheitsrichtlinie (PSRI) vor, den zuständigen Behörden umgehend zu melden. Das PSG hingegen verlangt eine solche Meldung insbesondere bei Rückrufen. Das BMASK nimmt diese Meldungen für alle Non-Food-Produkte entgegen. Sollte eine andere Behörde zuständig sein, leitet das Ministerium sie an diese weiter. Verletzt ein Unternehmen seine Meldepflicht, muss es mit einer Verwaltungsstrafe bis zu 3000 Euro rechnen.

Hat sich ein Unternehmen einmal zu einem Rückruf durchgerungen, muss es ihn effizient durchziehen. Nur dann kommt es seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach. Aber was heißt in diesem Zusammenhang „effizient“? „Ein kleines Inserat in den hinteren Seiten einer Tageszeitung zu schalten, in dem auf den Rückruf aufmerksam gemacht wird, ist zu wenig“, sagt Perz. Wenn man die Käufer des Produktes namentlich kennt, sollten sie möglichst direkt informiert werden. Im Online- und Versandhandel ist das möglich, aber auch dann, wenn die Kunden beim Einkauf etwa über Kundenkarten registriert wurden. „Handelt es sich um einen Rückruf, von dem vor allem Stammkunden betroffen sind, ist auch ein – deutlich sichtbarer – Aushang im Verkaufslokal sinnvoll. Und bei spezielleren Produkten können Fachzeitschriften ein guter Informationskanal sein“, sagt Eustacchio. Interessant findet Perz, dass es viele Unternehmen noch immer vermeiden, auf ihrer Homepage auf die laufenden Rückholaktionen aufmerksam zu machen, obwohl Kunden sich gerade dort schlau machen wollten. „Diese Information sollte unbedingt prominent auf der Einstiegsseite zu finden sein“, fordert Perz.

Hohe Rücklaufquote ist selten

Ziel ist es ja schließlich, eine möglichst hohe Rücklaufquote zu erreichen. Allzu hohe Erwartungen sind jedoch unangebracht: Nach internationalen Erfahrungen liegt die Rücklaufquote bei üblichen Konsumgütern (Non-Food) unter zehn Prozent. Eine Quote von 80 bis 90 Prozent kann nur erreicht werden, wenn die Kunden namentlich bekannt sind. „Bei Massenprodukten hingegen erfahren viele nicht einmal vom Rückruf, ignorieren ihn oder aber entsorgen das Produkt gleich selbst, wenn es nicht mehr in Verwendung ist“, sagt Eustacchio.

Eine noch so ausgeklügelte Rückholaktion kann also nicht verhindern, dass es zu einem Unfall kommt. Auch die Gefahr von Schadenersatzansprüchen ist nicht gebannt, denn ein Rückruf wirkt nicht haftungsbefreiend. Ein Mitverschulden wird dem Verbraucher aber vorgeworfen werden können: Nämlich dann, wenn er das Produkt weiterhin verwendet, obwohl er von der Rückrufaktion weiß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)

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