Erbrecht für Weltbürger

Testament
Testament(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Die Menschen werden immer mobiler. Das Land, in dem man geboren ist, muss nicht das sein, in dem man später seinen Beruf ausübt oder den Lebensabend verbringt. Die EU-Erbrechtsverordnung will diesem Umstand Rechnung tragen.

Wien. Ein österreichischer Pensionist, der sich dazu entschlossen hat, den Rest seines Lebens nicht in Österreich, sondern in seiner Wohnung auf Mallorca zu verbringen, stirbt auf der spanischen Insel. Eine Niederländerin, die in Österreich eine Boutique eröffnet und sich hier niedergelassen hat, kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Mit der steigenden Mobilität in Europa haben auch die Erbrechtsfälle mit grenzüberschreitendem Bezug stark zugenommen. Gut ein Zehntel aller Erbfälle in Europa weisen nach Angaben der Österreichischen Notariatskammer einen grenzüberschreitenden Bezug auf.

„Derartige Fälle konnten bisher zu großen Verwicklungen und Komplikationen bei der Abwicklung der Verlassenschaft führen“, sagt Martin Schauer, Stellvertretender Institutsvorstand am Institut für Zivilrecht an der Universität Wien. Welche Gerichte sind denn nun zuständig, um den Nachlass des Verstorbenen abzuhandeln? Wo und wer entscheidet über Erbschaftsstreitigkeiten? Welches Erb- und Pflichtteilsrecht kommt zur Anwendung? Das sind Fragen, mit denen sich die Angehörigen auf einmal auseinanderzusetzen haben. „Wer einmal als Erbe versucht hat, mit dem Einantwortungsbeschluss eines österreichischischen Verlassenschaftsgericht über das Guthaben des Verstorbenen bei einer Bank in Deutschland zu verfügen, der weiß, wovon die Rede ist“, so Schauer. Doch ab dem 17. August 2015 soll alles einfacher werden. An diesem Tag tritt nämlich die EU-Erbrechtsverordnung in Kraft.

Was ändert sich?

Mit diesem Regelwerk werden zwar nicht die Erbrechtsnormen der Mitgliedstaaten vereinheitlicht – Österreich muss sein geltendes Erbrecht also nicht ändern – aber es wird einheitlich geregelt, welches Erbrecht nach dem Tod eines Erblassers anzuwenden ist.

Was ändert sich also? „Bisher gilt in Österreich, dass sich das anwendbare Recht nach der Staatsbürgerschaft des Erblassers bestimmt. Genau das soll sich ändern“, so Schauer. Künftig wird das Erbrecht jenes Staates zur Anwendung kommen, in dem der Erblasser zur Zeit seines Todes seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Damit will die EU der wachsenden – beruflichen und privaten – Mobilität der Menschen entsprechen, die auf die Anwendung des Rechts jenes Staates vertrauen, den sie zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Ausgenommen sind nur Irland, Dänemark und Großbritannien, diese Staaten sind bei der Erbrechtsverordnung nicht dabei.

Kritiker der neuen Regelung befürchten allerdings Rechtsunsicherheiten, weil in Zweifelsfällen der gewöhnliche Aufenthalt schwieriger zu ermitteln ist als die Staatsbürgerschaft eines Menschen: „Solche Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Allerdings dürfte die Zahl der echten Problemfälle eher gering sein“, sagt Schauer. Und will es der Erblasser anders haben, kann er – auch das ist auch eine Neuerung – mit einer letztwilligen Verfügung anordnen, dass die Erbfolge nach seinem Tod nicht nach dem Recht des Staates seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts erfolgen soll, sondern nach dem jenes Landes, dessen Staatsbürger er ist. „Das ist zu empfehlen, wenn der Erblasser zwar davon ausgeht, seinen Wohnsitz zu verlegen, aber dennoch verhindern will, dass dadurch ein anderes Erbrecht, mit dem er womöglich gar nicht vertraut ist, anzuwenden wäre“, so Schauer.

Erbrecht in der EU divergiert

„Man sollte sich nämlich schon bewusst sein, dass jedes Land inhaltlich ganz unterschiedliche erbrechtliche Gesetze hat“, sagt Notar Ludwig Bittner. „Manche Länder sind etwa bei Pflichtteilsansprüchen sehr restriktiv, andere sehen anstelle eines Pflichtteils Unterhaltsansprüche vor.“ Vor allem bei der Nachfolgeregelung für Unternehmen kann das relevant sein. Wer eine letztwillige Verfügung plant, kann sich schon heute für die eine oder andere Rechtsordnung entscheiden. Wirksam ist sie, sofern der Testator den Anwendungsbeginn der Verordnung erlebt. Bittner: „Nicht nur bei der Errichtung sollten sich die Betroffenen über die Rechtswahl Gedanken machen. Auch bestehende Testamente können einer Modifikation bedürfen.“

Dass die Erbrechtsverordnung große Vorteile bringen wird, davon sind nicht nur er und Schauer, sondern auch Astrid Deixler-Hübner, Vorstand des Instituts für Europäisches und Österreichisches Zivilrechtsverfahren an der Johannes Kepler Universität in Linz, überzeugt: „Der Vorteil besteht vor allem darin, dass künftig nur eine Nachlasseinheit bestehen wird.“ Das heißt, egal in welchen EU-Staaten der Verstorbene sein bewegliches und unbewegliches Vermögen gehabt hat, ist nur mehr ein einziges Gericht für sein Hab und Gut zuständig. „Damit wird die bisherige Spaltung des Nachlasses vermieden, was zu einer enormen Verfahrensvereinfachung beitragen wird“, sagt Deixler-Hübner. „Nur mehr in wenigen Ausnahmefällen kann es noch zu einer faktischen Spaltung des Nachlassvermögens kommen.“

Zur Vereinfachung der Abwicklung der Erbschaft soll auch das Europäische Nachlasszeugnis, beitragen. Mit ihm können Erben, Vermächtnisnehmer, Nachlassverwalter oder Testamentvollstrecker in Zukunft ihre Rechtsstellung einheitlich und in jedem Staat der EU belegen. Dieses hat das international zuständige Gericht den genannten Personen auf Antrag auszuhändigen. Zusätzlich muss das Nachlasszeugnis zu Beweiszwecken in das Register der ausstellenden Behörde eingetragen werden, und jeder Dritte kann sich bei Rechtshandlungen auf die Richtigkeit dieser Urkunde berufen. Ein Makler etwa, der für den österreichischen Erben die Wohnung des verstorbenen Vater auf Mallorca verkaufen soll, ist damit rechtlich formell abgesichert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2014)

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