Umweltverträglichkeitsprüfung: Auf Kriegsfuß mit Nachbarrechten

(c) Clemens Fabry
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Der EU-Gerichtshof prüft, ob die Parteistellung von Nachbarn bei größeren Projekten in Österreich ausreichend gewährleistet ist.

Wien. Österreich steht mit Nachbarrechten immer wieder auf Kriegsfuß. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-G), diesbezüglich erst 2012 novelliert, enthält je nach Verfahrensart – Umweltverträglichkeitsprüfung, vereinfachtes Verfahren, Feststellungsverfahren – unterschiedliche Parteienrechte. In einem Verfahren, in dem festgestellt wird, ob ein bestimmtes Projekt UVP-pflichtig ist oder nicht (Feststellungsverfahren), haben nur die Standortgemeinde, der Umweltanwalt und der Projektant Parteistellung. Betroffene Nachbarn können weder ein Feststellungsverfahren einleiten, noch gegen eine Negativfeststellung Beschwerde einreichen.

Bis 2012 war dies auch Umweltorganisationen verwehrt. In der Rechtssache Mellor (C-75/08) sprach der EuGH aus, dass Betroffene sich vergewissern können müssen, dass die Behörde geprüft hat, ob eine UVP erforderlich ist; die Betroffenen müssen die Entscheidung auch gerichtlich nachprüfen lassen können. In der Folge rügte die EU-Kommission Österreich in einem Mahnschreiben, dass nach UVP-G nicht einmal Umweltorganisationen Parteistellung im Feststellungsverfahren hatten. Um ein Vertragsverletzungsverfahren abzuwehren, wurde ein österreichischer Weg eingeschlagen: Umweltorganisationen erhielten zwar keine Parteistellung, aber immerhin das Recht, gegen negative Feststellungsverfahren Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (vormals Berufung beim Umweltsenat) einzulegen.

Feststellung ohne Nachbarn

Nachbarn haben aber weiterhin weder Parteistellung noch Beschwerdemöglichkeit im Feststellungsverfahren. Mit der Konsequenz, dass sie in einem weiteren Genehmigungsverfahren die UVP-Pflicht des Projekts nicht mehr relevieren können und der Feststellungsbescheid auch ihnen gegenüber Bindungswirkung entfaltet.

Begründet wird dies damit, dass das Feststellungsverfahren Projektanten rasch Rechtssicherheit geben soll und Nachbarn in den weiteren Genehmigungsverfahren ohnehin Einwendungen erheben können. Sie können beispielsweise im Betriebsanlagenverfahren Belästigungen durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub oder Erschütterung ebenso geltend machen wie Gefährdungen ihres Lebens oder der Gesundheit. Allerdings können Nachbarn als betroffene Öffentlichkeit entgegen der EuGH-Judikatur die Entscheidung der Behörde, das Vorhaben sei nicht UVP-pflichtig, nicht gerichtlich prüfen lassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hegt offenbar Zweifel an dieser Rechtslage. In einem Betriebsanlagengenehmigungsverfahren hatte ein Nachbar die Ansicht vertreten, dass ein Projekt – ein Einkaufszentrum in Kärnten – UVP-pflichtig sei. Ihm wurde der negative Feststellungsbescheid entgegengehalten. Der VwGH legte dem EuGH sinngemäß folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (EU 2013/0006): Entspricht es dem Unionsrecht, wenn ein Bescheid, mit dem die UVP-Pflicht eines Projekts verneint wird, auch Nachbarn bindet, die bis dahin keine Parteistellung hatten, aber in nachfolgenden Verfahren Einwendungen erheben können? Oder verlangt das Unionsrecht, die Bindungswirkung zu verneinen?

Wenig Freude würde eine Parteistellung von Nachbarn im Feststellungsverfahren Projektanten bereiten. Immerhin müsste sich der Projektant noch vor einem Genehmigungsverfahren mit weiteren Gegnern auseinandersetzen. Wie viele es sind, ist schwer abschätzbar, vor allem dann, wenn das Projekt erst im Konzeptstadium ist.

Einwendungen kosten Zeit

Einwendungen müssen entkräftet werden, kosten zusätzliches Geld und Zeit, mögen sie auch unbegründet sein. Sie können Verfahren in die Länge ziehen. Tatsächlich werden oftmals Einwendungen erhoben, die keine subjektiv-öffentlichen Rechte betreffen. Dennoch wird die Behörde diesen Einwendungen meist nachgehen, damit nur ja kein Verfahrensfehler unterläuft. Und sobald der Nachbar Beschwerde erhebt, wird sich die zweite Instanz mit dem Fall beschäftigen müssen. Auch wenn sie sodann zur Ansicht gelangt, die Einwendungen begründen keine Parteistellung, hat der Nachbar das Projekt um zumindest weitere zwei bis drei Monate verzögert und entsprechend Geld gekostet.

Mutwillige Prozessführung kann haftbar machen: Wer sich auf einen Prozess einlässt, obwohl er bei nötiger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass der Prozess aussichtslos ist, handelt rechtswidrig und schuldhaft und ist daher schadenersatzpflichtig. Der Maßstab, wann eine Behörde missbräuchlich angerufen wurde, wird aber naturgemäß streng ausgelegt. Die Vermutung spricht für die Gutgläubigkeit, das Gegenteil muss der Kläger erst beweisen. Ein Projektant wird daher nur sehr schwer beweisen können, dass ein Nachbar mutwillig Einwendungen erhoben hat.

Der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH wird mit Spannung erwartet; er könnte Österreich eine weitere Novelle des UVP-G bescheren.


Dr. Birgit Kraml, LL.M. ist Rechtsanwältin bei Wolf Theiss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)

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