„EuGH betont Bürgerrechte und Verbraucherinteressen“

Siegbert Alber
Siegbert Alber(c) Clemens Fabry / Die Presse
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„Die Presse“ sprach mit dem Europarechtsexperten Siegbert Alber über aktuelle Entscheidungen des EuGH, Tendenzen in der Judikatur und Entwicklungen im EU-Recht.

Die Presse: Am 1. Juli fällte der EuGH sein Urteil im Rechtsstreit zwischen Schweden und dem finnischen Windkraftbetreiber Ålands Vindkraft (C-573/12). Worum ging es da?

Siegbert Alber: Im schwedischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um eine nationale Förderung, die vorsieht, dass für Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen handelbare grüne Zertifikate erteilt werden. Allerdings erteilt Schweden diese Zertifikate nicht für Produktionsanlagen in einem anderen Mitgliedstaat. Der Gerichtshof hat diese Regelung in seinem Urteil vom 1. Juli nicht beanstandet. Er ist damit dem Generalanwalt nicht gefolgt, der die Regelung sehr wohl beanstandet hat. Der Generalanwalt war in diesem Fall europafreundlicher als der Gerichtshof. Der Gerichtshof sah in der schwedischen Regelung zwar eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit, betrachtete diese jedoch für rechtfertigbar – anders als der Generalanwalt.

Es hat ja in letzter Zeit auch andere spannende EuGH-Entscheidungen gegeben, von der Vorratsdatenspeicherung bis zum Google-Urteil. Welche Tendenz ist daraus erkennbar?

Ob man eine Tendenz ableiten kann, weiß ich nicht, es sei denn, man legt den Fokus auf Verbraucherinteressen und Bürgerrechte. Die betont der EuGH in der letzten Zeit deutlich – gestützt auf entsprechende europäische Rechtsakte. Um den Google-Fall als Beispiel zu nehmen („Recht auf Vergessenwerden“ im Internet, Anm.): Hier geht es um eine Güterabwägung zwischen Wirtschaftsinteressen und Persönlichkeitsrechten. Der Gerichtshof sagt zu Recht, dass es einen Anspruch auf Löschung gibt, der aus der Grundrechtecharta abzuleiten ist. Das wirtschaftliche Interesse muss hier gegenüber dem privaten Interesse eines Betroffenen zurückstehen, es sei denn, dieser Betroffene ist eine Person des öffentlichen Interesses. Abgesehen von dieser Ausnahme werden Persönlichkeitsrechte betont, was ich nur begrüßen kann.

Und bei der Vorratsdatenspeicherung?

Diese war ein Eingriff, und ein solcher muss rechtfertigbar sein. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wäre laut EuGH zwar schon ein Rechtfertigungsgrund, aber es muss die Verhältnismäßigkeit festgestellt werden. Und da die Datenspeicherung ja generell gilt – nicht limitiert auf einen Kreis von Leuten, die als Straftäter infrage kommen, sondern für jedermann –, ist das nicht verhältnismäßig.

In Österreich hat der VfGH die Vorratsdatenspeicherung inzwischen ebenfalls gekippt. Ist sie damit obsolet geworden oder gibt es noch einen Rahmen, innerhalb dessen man eine neue Regelung einführen könnte?

Dazu müsste man genau definieren, welche Daten gemeint sind, welche Personen und welche Umstände. Die Frage ist, wie praktikabel eine solche Regelung dann noch wäre. Der Gesetzgeber müsste sich das sehr gut überlegen.

Bildet der EuGH mit seiner Betonung von Bürgerrechten, Verbraucherrechten, Umweltschutz nicht in gewissem Sinn einen Gegenpol zur Kommission? Bei dieser hat man doch den Eindruck, dass für sie eher Wirtschaftsinteressen im Vordergrund stehen.

Also das sehe ich nicht unbedingt. Nach der Anzahl der Rechtsakte vielleicht, aber vom inhaltlichen Schwerpunkt her ist das gleichmäßig verteilt.

Zum Stichwort Zahl der Rechtsakte: Brauchen wir wirklich all die Vorschriften aus Brüssel?

Die werden natürlich immer kritisiert: Warum muss Brüssel die Duschköpfe regeln oder den Stromverbrauch von Staubsaugern? Aber wenn man Energie oder Wasser sparen will, muss man Maßnahmen dafür vorschlagen. Ob die auf nationaler Ebene beschlossen werden oder gleich auf europäischer, ist letztlich egal. Allerdings stellt sich mir immer die Vorfrage: Muss es überhaupt geregelt werden? Vieles muss – ob europäisch oder national – gar nicht geregelt werden.

Mit welchen Beschwerden im wirtschaftlichen Kontext hat der EuGH derzeit am meisten zu tun?

Es häufen sich Klagen von Kartellsündern und von Betroffenen im Zusammenhang mit einem eventuellen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Und es gibt – vor allem aus Spanien – viele Klagen wegen der Verpfändung von Immobilien aufgrund von missbräuchlichen Geschäftsbedingungen. Das Problem dabei ist: Auch wenn den Betroffenen recht gegeben wird, ist die Immobilie meist schon verwertet.

Gibt es – trotz der vielen Vorschriften aus Brüssel – im EU-Recht noch Regelungslücken?

Regelungslücken können im Bereich der Doppelbesteuerung gesehen werden. Die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in Steuerfragen sind zu klären, ebenso Fragen der Besteuerungsgrundlagen. Die Möglichkeiten einer Gewinn- und Verlustverlagerung zwischen Mitgliedstaaten sind zwar legal und keine Ausnützung einer Regelungslücke. Ob das aber so bleiben soll, steht auf einem anderem Blatt.

Nun noch zu einem konkreten EU-Vorhaben: der Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft. Was ist hier geplant?

Die europäische Staatsanwaltschaft ist für zwei Sachverhalte vorgesehen: zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, hauptsächlich von Subventionsbetrug, durch den, wie man annimmt, jährlich Schäden von 600 Millionen Euro entstehen. Weiters soll sie für bestimmte Arten der schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension zuständig werden. Angeklagt würde der Täter in dem Land, in dem er wohnt, denn Europa hat keine Strafkompetenz. Viele Fragen sind hier noch offen. Ich halte das Institut für sinnvoll. Es ist besser, als wenn jeder Staat getrennt ermittelt und keiner weiß vom anderen.

ZUR PERSON

Siegbert Alber ist Lehrbeauftragter und Honorarprofessor für Europarecht am Europa-Institut der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.

Von 1997 bis Ende 2003 war Alber Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg. In dieser Funktion war er auch Beobachter des EuGH im Konvent zur Ausarbeitung der Europäischen Charta der Grundrechte. Vorher war Alber 20 Jahre lang Abgeordneter im Europäischen Parlament und von 1984 bis 1992 dessen Vizepräsident. Er fungierte dort unter anderem auch als Vorsitzender des Rechtsausschusses und stellvertretender Vorsitzender des Umweltausschusses, leitete den Seveso-Ausschuss (Untersuchungsausschuss für giftige und gefährliche Stoffe) sowie den Unterausschuss Datenschutz.

In Wien war Alber auf Einladung des Beratungsunternehmens Roland Berger anlässlich des „Roland Berger Summernight Symposiums“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2014)

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