Verbraucherrecht: Gibt es bald mehr nichtige Verträge?

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Die neuen Informationspflichten bescheren den Unternehmen viel Zettelwirtschaft und zusätzliche Risken, den Verbrauchern aber nicht unbedingt mehr Durchblick. Auch unklare Bestimmungen sorgen für Verwirrung.

Wien. Seit gut eineinhalb Monaten ist das neue, EU-weit vereinheitlichte Verbraucherrecht in Kraft. Die Neuerungen betreffen vor allem den Online- und Versandhandel und sonstige Verträge, die Unternehmer und Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen schließen – bis hin zu Aufträgen an Handwerker, die der Kunde in seiner Wohnung erteilt.

Die neue Rechtslage soll Konsumenten besser schützen; ob das gelingen wird, bleibt abzuwarten. Den Unternehmen beschert sie jedenfalls viel bürokratischen Aufwand, und auch rechtlich zeichnen sich Spannungsfelder ab. „Fraglich ist zum Beispiel, wie sich die Fülle an Informationspflichten mit dem schon bisher geltenden Transparenzgebot vereinbaren lässt“, sagt Clemens Irrgeher, Partner bei Preslmayr Rechtsanwälte.

Das im Konsumentenschutzgesetz verankerte Transparenzgebot besagt, dass Vertragsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und Vertragsformblättern unwirksam sind, wenn sie „unklar oder unverständlich“ abgefasst sind. Auch das neue Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG) verlangt, dass Informationen „in klarer und verständlicher Weise“ zu erteilen sind.

Belehrungen ufern aus

In der Praxis kann es aber äußerst schwierig werden, bei der Erfüllung der neuen Informationspflichten „klar und verständlich“ zu bleiben. Vor allem die vorgeschriebenen Rücktrittsbelehrungen können derart ausufernd werden, dass fast zwangsläufig die Verständlichkeit auf der Strecke bleibt.

Insbesondere betrifft das kombinierte Angebote von Waren und Dienstleistungen. Denn die vorgeschriebenen Belehrungen über das Rücktrittsrecht unterscheiden sich je nach Vertragsgegenstand (z.B. Ware, Dienstleistung, digitale Inhalte), nach der Lieferart (z.B. Teillieferungen auf Wunsch des Kunden, Sukzessivlieferungsverträge) und nach dem Zeitpunkt der Erfüllung. Gibt es zum erworbenen Produkt auch noch einen Wartungsvertrag, ändern sich die Rücktrittsbelehrungen ebenfalls. Wenn aber die Belehrung so komplex wird, dass der Normalverbraucher sie nicht mehr versteht, kann das dazu führen, dass das Transparenzgebot verletzt wird und deshalb die Klausel oder womöglich sogar der ganze Vertrag nichtig ist.

Dieselbe Gefahr droht, wenn man Regelungen zur besseren Lesbarkeit allzu sehr vereinfacht und zu allgemein fasst – dann konstatiert das Gericht womöglich, dass die nötige Klarheit fehlt. Irrgehers Fazit: „Auch einem Unternehmer, der die Informationspflichten ambitioniert umsetzen möchte, droht die Gefahr der Unwirksamkeit von Vertragsbestimmungen.“ Vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung zum Transparenzgebot immer strenger wird, sei diese Gefahr äußerst real.

Umsetzungsprobleme zeichnen sich auch bei Vertragsabschlüssen über Telefon ab. Zwar können hier (soweit es nicht um Fälle geht, in denen ohnehin eine schriftliche Bestätigung des Geschäfts vorgesehen ist) gewisse Erleichterungen bei den Informationspflichten greifen. Die telefonische Belehrung muss aber unbedingt bestimmte Informationen umfassen und ebenfalls verständlich sein. „Macht der Unternehmer dabei einen Fehler, schaut er womöglich durch die Finger“, sagt Irrgeher. Und selbst wenn er den Verbraucher richtig belehrt hat, müsste er dies im Bedarfsfall auch beweisen – denn die Beweislast dafür, dass die Informationspflichten ordnungsgemäß erfüllt wurden, trifft den Unternehmer. Macht er aber zu diesem Zweck einen Audiomitschnitt des Telefonats, tritt er womöglich in ein anderes Fettnäpfchen: Dafür ist eine Meldung an das Datenverarbeitungsregister nötig, das wird in der Praxis oft übersehen. Außerdem sollte man den Gesprächspartner darauf hinweisen, dass das Telefonat aufgezeichnet wird (auch wenn umstritten ist, ob das bei Bestellhotlines zwingend nötig ist).

Cold calling bleibt verboten

Das neue Gesetz stifte aber auch in anderer Hinsicht Verwirrung, sagt Irrgeher: „Manche glauben nun, durch die neuen Regeln über Vertragsabschlüsse per Telefon sei das bisherige Verbot von Werbeanrufen (cold calling) aufgehoben.“ Das stimmt aber nicht, dieses Verbot besteht weiter. Nur findet es sich nicht im Verbraucherrecht, sondern in einer völlig anderen Vorschrift, dem Telekommunikationsgesetz.

Hier den Durchblick zu behalten ist für Unternehmen alles andere als leicht. Dazu kommt, dass sie für die praktische Umsetzung der neuen Regelungen wenig Zeit hatten: Die neuen Bestimmungen wurden am 26.Mai 2014 kundgemacht, am 13.Juni traten sie in Kraft. Den Betroffenen blieben also gerade einmal 18 Tage, um ihre Webseiten, AGB und Verträge umzustellen. Dass manche der neuen Regeln viel Interpretationsspielraum offenlassen, macht die Sache nicht einfacher.

Auch Konsumentenschutzorganisationen beklagen das; Musterklagen gegen Unternehmen wurden bereits angekündigt, damit die Rechtsprechung Klarheit schafft. „Vor diesem Hintergrund geradezu paradox“, findet Irrgeher.

AUF EINEN BLICK

Die Verbraucherrechte-Richtlinie der EU musste bis 13. Juni 2014 innerstaatlich umgesetzt werden. Nach EU-Vorgaben hätte das dafür nötige Gesetz spätestens ein halbes Jahr vorher erlassen werden müssen, um den Unternehmen genug Zeit zur Umstellung zu geben. Kundgemacht wurde es aber erst weniger als drei Wochen vor Inkrafttreten. Es enthält neben weitreichenden Informationspflichten auch neue Regeln für das Rücktrittsrecht des Kunden (im Regelfall 14 Tage bei nicht in Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen; unterbleibt die Rechtsbelehrung, ein Jahr und 14 Tage).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

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