EU-Vorstoß gegen Internet-Zensur

Rechtspanorama
Rechtspanorama Vinzenz Schüller
  • Drucken

Die Olympischen Spiele in China rückten die Internet-Zensur ins Rampenlicht. EU-Abgeordnete schlagen eine Richtlinie für freie Information im Web vor.

Brüssel. „Fehler: Server nicht gefunden.“ Diese Meldung kennt jeder Internet-User. Doch in vielen Ländern ist sie nur teilweise richtig. Zwar ist die abgefragte Information nicht angekommen. Doch ein „Fehler“, ein Versehen, ist nicht der Grund. Im Gegenteil: Wie ein Team hochkarätiger Internetexperten vom Berkman Center der Universität Harvard und der OpenNet Initiative in Access Denied, einem Bericht über globale Internet-Zensur, zeigt, schränken immer mehr Staaten das Internet bewusst ein. Dass dies oft mit Hilfe westlicher Firmen geschieht, hat zu öffentlicher Kritik an Internet-Unternehmen von Google bis Yahoo geführt.

Nach den USA, wo der Kongress seit 2006 über menschenrechtliche Mindeststandards für Internet-Unternehmen debattiert, haben nun auch acht Abgeordnete des Europäischen Parlamentes aus den vier größten Fraktionen reagiert. Die Politiker aus acht verschiedenen EU-Staaten, darunter auch Österreich und Deutschland, haben ihrerseits einen vielversprechenden Richtlinienentwurf zum Kampf gegen die Internet-Zensur vorgelegt.

Schwarze Liste

In 19 Artikeln sieht der „EU Global Online Freedom Act (EU GOFA)“ verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung der weltweiten Internet-Zensur vor. Neben der Einrichtung eines Büros für Internetfreiheit und der Erstellung einer Schwarzen Liste von Regimes, die Zensur praktizieren, werden 20 Millionen Euro für Anti-Zensur-Initiativen bestimmt. Um die Integrität europäischer Suchmaschinenanbieter zu sichern, dürfen diese die Suchresultate nicht auf Anweisung von gelisteten Ländern verändern oder Online-Inhalte der EU oder von Mitgliedstaaten blockieren.

Die Bekanntgabe von E-Mail-Nutzerdaten an lokale Behörden in gelisteten Ländern soll ebenfalls nur bei Vorliegen „legitimer ausländischer Strafverfolgungszwecke“ möglich sein. Um legitim zu sein, muss eine Strafverfolgung „auf einem öffentlich bekannt gemachten, ausreichend eindeutigen Gesetz“ beruhen, das sich „annähernd auf den Schutz oder die Förderung von Gesundheit, Sicherheit oder der Moral der Bürger bezieht“. Meinungsäußerungen, die von Artikel 19 des UN-Zivilpaktes gedeckt werden, dürfen dabei keinesfalls eingeschränkt werden. Doch auch dieser kennt Ausnahmen: Maßnahmen etwa, die zum Schutz der nationalen oder öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Sittlichkeit oder Gesundheit erforderlich sind. Wie ist wohl vor diesem Hintergrund Präsident Hu Jintaos Rechtfertigung für die forsche Zensurpolitik Chinas zu werten, im Internet müsse sich eine „gesunde“ Online-Kultur entwickeln?

Dass sich hier die Geister scheiden werden, ist abzusehen. Während die derzeitige Zensur-Praxis vieler Länder zweifellos menschenrechtswidrig ist, wird die Bewertung der Legitimität einer Strafverfolgung, die zunächst durch das jeweilige Unternehmen zu erfolgen hat, viele Verfahren nach sich ziehen. Denn schließlich sind die Mitgliedstaaten angehalten, für Verletzungen des EU GOFA zivilrechtliche und strafrechtliche Folgen vorzusehen.

Zensur als Handelshemmnis

Die vorgelegte Antizensur-Richtlinie geht über den menschenrechtlichen Ansatz noch hinaus, führt Exportkontrollen für Gegenstände ein, die zur Zensur beitragen können, und definiert Internet-Zensur durch europäische Firmen in gelisteten Ländern als Handelshemmnis. Damit wird angestrebt, Kritik an der Internet-Zensur aus dem „weichen“ menschenrechtlichen Diskurs herauszulösen und im Kontext der OECD und der WTO zu behandeln – als „hartes“ Thema des Welthandels. Ob die WTO angesichts des Scheiterns der Doha-Runde über diese Erweiterung ihrer Traktandenliste erfreut ist, scheint fraglich; ein interessanter Ansatz ist die Ökonomisierung des Kampfes gegen die Zensur indes allemal.

Inkrafttreten noch unklar

Obwohl das Inkrafttreten der Richtlinie noch in den Sternen steht, ist der Versuch der Parlamentarier, die Europäische Union mit einem Handlungsinstrumentarium auszustatten, um europäische Internet-Unternehmen an die (menschen)rechtliche Kandare zu nehmen, positiv zu bewerten. Denn – und mit dieser Feststellung schließt die Präambel des Richtlinienentwurfes – Menschenrechte müssen auch online geschützt werden.

Mag. Matthias C. Kettemann ist Forschungsassistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Graz.

Der Entwurf im Original

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.