Die Gesetzesbeschwerde ist nun fix

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Ist die Gesetzesbeschwerde ein "juristischer Super-GAU" oder ein "rechtsstaatlicher Fortschritt"? Beide Thesen vertraten Experten bei einer Podiumsdiskussion vergangene Woche.

Wien. Ab 1. Jänner 2015 können sich Verfahrensparteien eines Zivil- und Strafverfahrens direkt an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wenden, wenn sie finden, dass ein erstinstanzliches Urteil auf Basis eines verfassungswidrigen Gesetzes erfolgt ist. Das dazu notwendige Ausführungsgesetz hat der Nationalrat gestern, Mittwoch, beschlossen.

Bedeutet diese neue Möglichkeit nun eine Revolution in Sachen Rechtsschutz oder ist sie vielmehr ein Instrument der Verfahrensverzögerung? Darüber wurde vergangene Woche bei der Veranstaltung „Clarity Talks“, zu der die Wirtschaftskanzlei Dorda Brugger Jordis (DBJ) geladen hatte, diskutiert.

„Diese Neuregelung ist unter verfassungspolitischen Gesichtspunkten mit Nachdruck zu begrüßen“, stellte der Präsident des VfGH, Gerhart Holzinger, gleich zu Beginn fest. „Es ist ein rechtsstaatlicher Fortschritt, dass die Initiative zur Prüfung der Rechtmäßigkeit genereller Normen in Zukunft auch in Fällen zivil- und strafgerichtlicher Verfahren für den Einzelnen nicht mehr mediatisiert durch das Gericht erfolgt, sondern diese Befugnis in die Hände des einzelnen Rechtsschutzsuchenden gelegt wird.“

„Eine entbehrliche Regelung“

Ganz anderer Meinung ist Werner Zinkl, der Präsident der Österreichischen Richtervereinigung. Die Regelung sei, so wie sie jetzt geschaffen wurde, durchaus entbehrlich gewesen, sagt er. Hätten doch bisher schon der Oberste Gerichtshof und die Gerichte zweiter Instanz die Möglichkeit gehabt, den VfGH anzurufen. „Wenn man diese Befugnis nun den Parteien überträgt, sehe ich die Gefahr, dass der Antrag auf Gesetzesbeschwerde natürlich auch aus rein prozesstaktischen Gründen gestellt werden wird.“ Mit Verfahrensverzögerungen sei daher zu rechnen. Schon jetzt liege die durchschnittliche Verweildauer der von Gerichten gestellten Anträge bei einem Jahr.

Diese Sorge teilt auch Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung für Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich, wenngleich sie der Gesetzesbeschwerde grundsätzlich nicht ablehnend gegenübersteht. Den Schutz vor Verfahrensverzögerungen hätte man im Gesetz konkreter ausgestalten müssen, sagt sie. „Eine Vier-Monate-Frist etwa, binnen der entschieden wird, hätten wir begrüßt, damit das Verfahren für die Unternehmen berechenbar ist.“ Für diese sei es wesentlich zu wissen, wie lang ein Rechtsstreit dauern wird und welche Kosten damit verbunden sind. Unglücklich über die Arbeit der Legisten ist Schön auch der vielen unbestimmten Gesetzesbegriffe wegen, die sich in der Neuregelung fänden. „Was versteht der Gesetzgeber unter ,Gleichzeitigkeit‘ oder einer ,entschiedenen Rechtssache‘? Es ist auch nicht klar, wer Partei ist und wer die Kosten trägt. All diese Fragen sind – man glaubt es kaum – ungeklärt geblieben.“ Dass der Verfassungsausschuss nicht die letzte Chance genutzt habe, diese Dinge zu klären, bedauert sie.

Das tut auch der Rechtsanwalt und DBJ-Partner Bernhard Müller: „Die Einführung der Gesetzesbeschwerde ist zu begrüßen. Ihre konkrete Ausgestaltung allerdings ist ein juristischer ,Super-GAU‘ und zwar aus inhaltlicher und prozessualer Sicht.“

Der Antrag auf Gesetzesbeschwerde muss von der Partei beim VfGH eingebracht werden, und zwar gleichzeitig mit dem Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil: „Diese Ansiedlung ist ein grober Unfug. Sie wird Querulanten anziehen. Müssten die nämlich bei vollem Kostenrisiko bis zum OGH ,marschieren‘, würden sie sich das aufgrund der Kosten zweimal überlegen, aber keine Gesetzesbeschwerde einlegen.“ Überdies werde auf den VfGH viel mehr Arbeit bei diesen Normprüfungsverfahren zukommen: „Die erste Instanz ist doch in erster Linie mit der Sammlung und Feststellung des Sachverhalts beschäftigt. Diffizile juristische Auslegungen sind eher – und das meine ich nicht abwertend – den Instanzen vorbehalten.“ Jetzt würde der VfGH aber nach einem Erstgericht entscheiden. „Er muss sich daher viel mehr mit den Auslegungsfragen zivil-, handels- und strafrechtlicher Natur auseinandersetzen, damit er die Verfassungsmäßigkeit beurteilen kann.“

Dieter Kolonovits zeigt sich in seiner Funktion als Präsident des Verwaltungsgerichts Wien zurückhaltender als die anderen Diskutanten. Kein Wunder; die Verwaltungsgerichte sind von dem neuen Instrument wenig betroffen. Dem Verfassungsrechtler in ihm scheinen jedoch manche Tatbestände des Ausnahmekatalogs problematisch, sagt er (siehe Artikel rechts).

„Will mich nicht präjudizieren“

Zu verfassungsrechtlichen Bedenken von Kolonovits, dass man mit den Ausnahmeregelungen doch recht großzügig umgegangen sei, will Holzinger naturgemäß nichts sagen: „Über kurz oder lang wird sich das ohnehin beim VfGH als Frage stellen. Da werde ich mich nicht präjudizieren.“ Das Gesetz sei ein Kompromiss, man habe es allen recht machen wollen. Doch – und darauf legt Holzinger wert – weder er noch einer seiner Kollegen hätten sich in die „heiß umfehdete Diskussion“ rund um die Gesetzwerdung eingemengt: „Aus einem Grund: Es geht hier nicht um Befindlichkeiten, sondern um eine verfassungspolitische Frage, und die hat der Verfassungsgesetzgeber zu entscheiden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2014)

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