Strafprozessrecht: Neues zum Sachverständigenbeweis

INTERVIEW: JUSTITZMINISTER BRANDSTETTER
INTERVIEW: JUSTITZMINISTER BRANDSTETTER(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Ab Jänner 2015 gelten neue Regelungen zum Sachverständigenbeweis. Sie weichen von der Regierungsvorlage deutlich ab. Nur haben das viele Juristen noch nicht bemerkt.

Wien. Mit 1.Jänner 2015 tritt das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014 in Kraft. Das ist keine Überraschung. Dass sich das verabschiedete Gesetz vor allem in einem Punkt grundlegend von der damals diskutierten Regierungsvorlage unterscheidet, ist jedoch eine.

Konkret geht es um die Regelung über den Sachverständigenbeweis im Ermittlungsverfahren. Sie war Gegenstand eines Abänderungsantrages, den Johannes Jarolim, Justizsprecher der SPÖ, im Justizausschuss eingebracht hat. Dieser sah eine Änderung von §104/1 und §126/5 der Strafprozessordnung vor. Vielen Juristen sei noch gar nicht bewusst, dass die nunmehr verabschiedete Fassung eine 180-Grad-Wende im Vergleich zu jener der Regierungsvorlage darstelle, meint Anwalt Gerald Ruhri (Kanzlei Brandl & Talos). Dem Vernehmen nach sind die inhaltlichen Änderungen in letzter Minute übrigens auf das Engagement des Präsidenten des Obersten Gerichtshof, Eckart Ratz, zurückzuführen. Er soll mit seinen Argumenten auch Justizminister Wolfgang Brandstetter von der Notwendigkeit der Neufassung überzeugt haben.

„Eine unbemerkte Revolution“

Doch worin besteht der inhaltliche Unterschied von Gesetz und Regierungsvorlage? „In Hinkunft wird der Verteidigung das Recht eingeräumt, die Bestellung eines Gutachters im Rahmen einer gerichtlichen Beweisaufnahme beantragen zu können. Diese Anträge bedürfen keiner Begründung“, sagt Strafrechtsexperte Ruhri. „Das heißt, die Erstattung des Gutachtens im Ermittlungsverfahren muss nicht mehr durch den vom Staatsanwalt bestellten und geführten Gutachter erfolgen.“ Was sich auf den ersten Blick ganz unspektakulär lese, sei eine „Revolution“ des Sachverständigenbeweises, sagt Ruhri. „Im Ergebnis bedeutet dies nämlich, dass der Staatsanwaltschaft bei der Ausgestaltung des Gutachtenauftrages nur mehr die Position eines Antragstellers bei Gericht zukommt.“

Stellt also der Verteidiger den Antrag, die Erstellung eines Gutachtens solle zur gerichtlichen Beweisaufnahme werden, hat nach §104 StPO auch das Gericht (und eben nicht der Staatsanwalt) den Gutachter zu führen. Der Vorteil: Nimmt das Gericht den Sachverständigenbeweis auf, sind damit alle bisher erfolgten (einseitigen) Einflussnahmen des Staatsanwaltes auf den Sachverständigen ausgeschlossen. „Und sollten sie dennoch stattfinden, wäre das ein Ausschlussgrund für den Sachverständigen.“

Möchte der Gutachter mit dem Staatsanwalt kommunizieren, so kann das künftig nur mehr ein „Dreiergespräch“ sein, bei dem auch der Verteidiger anwesend sein muss. Das Fazit des Anwalts: „Die Leitungsbefugnis des Staatsanwalts wird massiv beschnitten, die Rechtsschutzaufgaben des Richters werden wesentlich aufgewertet.“ Seine Auffassung kann Christian Pilnacek, Leiter der SektionIV Strafrecht des Justizministeriums, allerdings nicht nachvollziehen. Seiner Ansicht nach wurde die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft in keiner Weise eingeschränkt. Es sei lediglich ein kontrollierendes Element hinzugetreten, und damit eine Streitfrage gelöst, die in der Hauptverhandlung oft zu emotionalisierter Stimmung geführt habe.

Fakt ist dennoch, dass die Regierungsvorlage inhaltlich ganz anderes normiert hatte. Sie sah vor, dass die Bestellung eines Sachverständigen Aufgabe der Staatsanwaltschaft bleibe. Der Beschuldigte hatte lediglich das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen die Enthebung zu beantragen und „gegebenenfalls eine bestimmte andere Person zur Bestellung vorzuschlagen“. Gegen die Entscheidung konnte der Beschuldigte Einspruch erheben. „Das war nicht der große Wurf. Überdies wäre die Regelung wohl genauso verfassungswidrig gewesen wie die nun geltende Bestimmung der StPO“, so Ruhri.

Der VfGH ist am Zug

Zur Erinnerung: Nach §126/4 der Strafprozessordnung dürfen Sachverständige, die im Vorverfahren von der Staatsanwaltschaft bestellt und angeleitet worden sind, später auch im Hauptverfahren als Sachverständige engagiert werden. Sie werden also von Experten der Anklage zu Experten des Gerichts. Eine Regelung, die seit Jahren äußerst umstritten ist. Ein Teil der juristischen Fachwelt, allen voran OGH-Präsident Ratz, hält sie dezidiert für verfassungswidrig. Denn der Angeklagte kann dem erst vom Staatsanwalt und dann vom Gericht bestellten Sachverständigen nicht mit gleichen Waffen gegenübertreten. Er kann lediglich einen Privatsachverständigen beauftragen, dessen Gutachten im Verfahren jedoch nur eine untergeordnete Rolle zukommt. Christian Pilnacek hingegen hegt keinerlei Bedenken. „Wir gehen davon aus, dass weder die jetzige Bestimmung noch die in der Regierungsvorlage vorgesehene verfassungswidrig gewesen ist“, sagt er gegenüber der „Presse“. Die Diskussion darüber wird jedenfalls bald verstummen, denn bald wird der Verfassungsgerichtshof (VfGH) diese Frage entscheiden. Der OGH hat anlässlich der Verurteilung des Ex-Immofinanz-Chefs, Karl Petrikovics, beantragt, die zitierte Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben. Er sieht, wie er vorsichtig formuliert, ein „Spannungsverhältnis“ zwischen der StPO und Artikel sechs der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf ein faires Verfahren garantiert.

„Tickende Zeitbomben“

Bemerkenswert ist, dass der VfGH erst 2015, also zu einem Zeitpunkt entscheiden wird, zu dem die vermeintlich verfassungswidrige Bestimmung in dieser Fassung gar nicht mehr gilt. Sollte er zur Überzeugung kommen, dass die früher geltende Bestimmung verfassungswidrig war, fragt sich, wie mit all den Verfahren umzugehen ist, in denen bisher schon EMRK-widrige Gutachter bestellt worden sind. „Gut möglich, dass sich vor allem jene Verfahren, in denen die Gutachteraufträge sehr weit und allgemein formuliert worden sind, als ,tickende Zeitbomben‘ entpuppen“, sagt Ruhri. „Denn die Sachverständigen können in der Hauptverhandlung gerade dann nicht mehr bestellt werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2014)

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