Steuerreform an den großen Trends vorbei?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Es ist erstaunlich, dass die Koalition bestimmte Probleme wie das der internationalen Steuerumgehungen und -verschiebungen nicht oder nur unzureichend anspricht. Gestaltungswille sollte nicht bei ersten Ideen stehen bleiben.

Wien. Die Präambel des Ministerratsvortrags vom 17. März zur Steuerreform ist weit gefasst: Sie spricht von einer spürbaren Entlastung der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen, von wirtschaftspolitischen Impulsen. Und sie kündigt Betrugsbekämpfung, Vereinfachung und Bürokratieabbau an. Aber spricht sie damit wirklich die relevanten Themen an, oder führt der Weg des geringsten Widerstandes an den relevanten Entwicklungen der Steuerwelt vorbei?


•Die Komplexität, mit der Unternehmen und Verwaltungen konfrontiert sind, steigt. Ein Treiber dafür ist die Globalisierung, ein anderer die Digitalisierung. Als Wirtschaftsrecht muss das Steuerrecht die internationalen Verflechtungen und digitalen Möglichkeiten systemgerecht abbilden und stößt dabei notgedrungen an seine Grenzen. Zu unterschiedlich sind die (Steuer-)Rechtsordnungen, zu dynamisch die Geschäfte im Web und zu verlockend die Steuermargen zwischen einzelnen Staaten. Das sachgerechte Erfassen der Besteuerungsgrundlagen am richtigen Ort und in richtiger Höhe scheitert häufig an der Komplexität. Und da ist noch gar nicht die Rede von aggressiver Steuerplanung, Abkommensmissbrauch, hybriden Finanzierungen, virtuellen Betriebsstätten und anderen unerwünschten Entwicklungen.

EU-Kommission und OECD haben sich der Probleme angenommen, weil es um riesige Steuerumgehungen und -verschiebungen geht. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Themen im Ministerratsvortrag zur Reform überhaupt nicht angesprochen werden und sich auch im Papier der Expertengruppe nur in einem kurzen Absatz wiederfinden. Aber ohne faire Rahmenbedingungen und ohne grenzüberschreitende Instrumente und Befugnisse im Vollzug geht der Steuerwettbewerb zulasten aller Staaten.


•Polarisierung. Der Steuerbetrug im sogenannten illegalen Sektor, im Zusammenhang mit Drogen, Alkohol, Tabak sowie Menschenhandel, war immer schon ein Thema. Nunmehr wird aber Steuerbetrug auch im sogenannten versteckten Sektor systematisch betrieben: da, wo steuerliche U-Boote Waren und Leistungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr anbieten und Profit durch die Nichtbesteuerung erzielen oder wo registrierte Unternehmen durch Malversationen wie Umsatzsteuerkarussellbetrug Gewinne abschöpfen. Steuerhinterziehung ist zum Geschäftsmodell geworden.

Auf der anderen Seite hat das verantwortliche Handeln unter modernen Begriffen wie Corporate Governance oder Compliance Management in Unternehmen Einzug gehalten. Dabei geht es um ein neues Paradigma des Wirtschaftens, zu dem auch ein transparenter Umgang mit Steuern gehört und das Rechtssicherheit und Reputation vor zweifelhafte Steuerkonstruktionen stellt.

Auch Vertrauen signalisieren

Den Reformplänen rund um Registrierkassen und Bankauskünften wird zwar zu Unrecht ein Generalverdacht unterstellt – ohne Kontrollmöglichkeiten bleiben Vorschriften wirkungslos. Aber gleichzeitig fehlt das Bild für ein umfassendes Compliance Risk Management: Die Unterstützung für ehrliche Schlüsselsteuerzahler, die Vereinfachung und das Monitoring für Niedrigrisiko-Steuerzahler sowie die Überwachung, Prüfung und strafrechtliche Verfolgung von Hochrisiko-Steuerzahlern müssen ausgewogen sein. Steuerzahler sollen die Gewissheit haben, dass nicht nur Vergehen entdeckt und bestraft werden, sondern dass der Staat ihnen auch vertraut und sie in ihrem Bestreben nach Rechtssicherheit unterstützt. Ohne kooperative Maßnahmen zur Erhöhung der Steuermoral wird auch Österreich auf Dauer nicht auskommen.


•Verwissenschaftlichung. Die Anzahl an Gesetzesnovellen, der Umfang der Steuerrichtlinien oder die rapide Verdoppelung der steuerberatenden Berufe sind Indizien für eine Verwissenschaftlichung. Das verändert den Zugang zum Recht für den Steuerzahler (ohne Beratungsunterstützung ist er kaum mehr möglich) und den Vollzug für die Finanzverwaltung (die ohne Mut zur Lücke ihrem gesetzlichen Auftrag nicht mehr nachkommen kann). Und letztendlich wirkt es sich auch auf die Steuermoral aus.

Natürlich gab und gibt es revolutionäre Ideen zur Vereinfachung von Steuersystemen (z.B. den britischen Mirrlees Review) und radikale Umsetzungsvorschläge (das Bundessteuergesetzbuch des deutschen Verfassungsrichters und Beinahe-Finanzministers Kirchhof, das 200 Steuergesetze zu einem zusammenfasst und mehr als 30 Bundessteuern auf vier reduziert). Aber diese Vorschläge tragen (siehe Kirchhof) ein hohes Risiko des Scheiterns. Die wenigen konkreten Ankündigungen zur Vereinfachung im Steuerreformpapier (insb. Neukodifizierung des EStG, Angleichung der Bemessungsgrundlagen von Steuer und Sozialversicherung, Streichung von Steuerprivilegien) sind so gesehen zumindest ein Signal in die richtige Richtung.


•Asymmetrie. Für die Steuererhebung gilt der Gleichheitsgrundsatz, der Gesetzgebung und Vollziehung bindet. Dem stehen geänderte Rahmenbedingungen gegenüber: Von außen wirken die steigende Komplexität, die Polarisierung im Verhalten der Steuerzahler und die Verwissenschaftlichung auf den Vollzug ein. Von innen sind es vor allem die Einsparungen (Personal- und Sachausgaben), die zu einer systemimmanenten Willkür im Vollzug führen. Im Ergebnis steht die Finanzverwaltung vor der Herausforderung, mit sinkenden Ressourcen mehr leisten zu müssen.

Dass sich im Steuerreformpapier „ausreichend Personal für die Betriebsprüfung“ findet, ist wichtig, wird aber angesichts des Spardrucks schnell an Grenzen stoßen. Mehr versprechen da schon Rechtsbereinigungen wie die Abschaffung der Topf-Sonderausgaben oder Vereinfachungen wie die automatische Arbeitnehmerveranlagung und die antragslose Familienbeihilfe. Auch in diesem Punkt gilt, übertragbar auf das gesamte Steuerreformpapier: Innovation, Gestaltungswille sowie in weiterer Folge Mut zu organisatorischen Änderungen dürfen nicht bei ersten Ideen stehen bleiben.


Dipl.-Kfm. Eduard Müller, MBA, war viele Jahr Mitarbeiter im Finanzministerium, ehe er in die Wirtschaft wechselte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

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