Berufsaufsicht: Kammer-Gutachten lässt Fragen offen

Elisabeth Rech
Elisabeth Rech(c) Stanislav Jenis
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Im Fall des Wiener Anwalts, der nach seinem Tod einen Schuldenberg hinterließ, liegt nun ein eilig erstellter Prüfbericht vor. Er entlastet die Funktionäre der Anwaltskammer.

Wien. Nach dem Tod des Rechtsanwalts Michael Mathes zeigte sich bald, welch finanzielles Fiasko er hinterlassen hatte. Das warf auch die Frage auf, ob die Wiener Rechtsanwaltskammer (RAK) bei der Berufsüberwachung versagt hatte („Die Presse“ berichtete).

Ein Prüfbericht, den die Kammer im März 2015 in Auftrag gegeben hat, stellt den verantwortlichen Funktionären nun aber ein hervorragendes Zeugnis aus. Insbesondere Vizepräsidentin Elisabeth Rech, die für die Berufsüberwachung in der Kammer zuständig ist und eine langjährige Wegbegleiterin von Mathes war, wird von jedem Vorwurf reingewaschen.

Erstellt hat den Bericht Ronald Rohrer, ehemals Vizepräsident des OGH und Präsident der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter. Seine Aufgabenstellung lautete, den „zeitlich einzuordnenden Kenntnisstand“ von Organen der RAK und deren jeweilige Veranlassungen zu untersuchen. Das Ergebnis: „Nach genauer und völlig unbeeinflusster Bewertung der mir in vollem Umfang zugänglichen Unterlagen sowie der durchgeführten Befragungen“ habe er „keinen relevanten Sorgfaltsverstoß“ der Kammer feststellen können. Es habe sich auch nicht der geringste Hinweis ergeben, dass jemand in der RAK „schützend die Hand“ über Mathes gehalten hätte (Mathes, selbst Kammerfunktionär, soll das behauptet haben, Anm.). Ganz im Gegenteil „wurde offenkundig wegen seiner Kammerfunktion besonderer Wert auf rasche Überprüfung gelegt“.

Gerücht über Geldprobleme

Wie war nun der zeitliche Ablauf? Die erste von mehreren im Bericht erwähnten Mahnungen, die die Kammer selbst an Mathes richtete, ist mit 21. Mai 2012 datiert (siehe auch Artikel links). Von einem Gerücht, er habe finanzielle Probleme, habe die RAK Ende 2012 erfahren. Stefan Prochaska, damals RAK-Vizepräsident, habe das von dritter Seite gehört und es Rech mitgeteilt. Daraufhin habe Rech Mathes kontaktiert – und dieser habe von einem Fehler bei der Honorarabrechnung mit einem großen Klienten berichtet. Gemeint: die Allianz Versicherung. Dort seien Rabatte übersehen worden. Die Sache werde bis zum Sommer bereinigt sein.

Im April 2013 erhielt die Kammer eine Meldung über Mietzinsrückstände für Mathes' Kanzleiräume. Nicht einmal einen Monat später habe sie eine Kanzleiüberprüfung bei diesem beschlossen, heißt es im Bericht. Dafür sei offenbar auch das erwähnte Gerücht bestimmend gewesen. Die von der Kammer beauftragten Prüfer, Georg Brandstetter und Andreas Nödl, erfuhren davon jedoch nichts – auch nicht von früheren Zahlungsverzögerungen. „Die Prüfer durften und mussten somit davon ausgehen, dass sie die Kanzlei eines (...) erfolgreichen Einzelanwalts zu prüfen haben, der (...) wegen unrichtiger Honorarabrechnungen einer neuen Kanzleikraft einem vorübergehenden Zahlungsengpass unterliegt“, schreibt Rohrer. Tatsächlich stellten sie bei der Kanzleiüberprüfung keine Auffälligkeiten fest.

Warum Rech die Prüfer vor der Nachschau nicht näher informierte, bleibt offen. Was nicht die einzige Frage ist, die sich beim Lesen des Gutachtens stellt. So hat Rohrer im Rahmen seiner Untersuchung – für die er nur wenige Tage, von 2. bis 10. März 2015, brauchte – lediglich drei Personen befragt: Rech und die beiden Anwälte, die die Kanzleiüberprüfung durchführten. Mit dem Insolvenzverwalter des Nachlasses von Mathes, Christof Stapf, sprach er nicht – dabei müsste Stapf wohl den umfassendsten Überblick in der Causa haben. Auch mit Prochaska, der die Kammer als Erster auf mögliche Probleme von Mathes aufmerksam machte, nahm Rohrer keinen Kontakt auf. Die in der RAK für die Causa zuständige Referentin, Hannelore Pitzal, befragte er ebenfalls nicht. Diese sei in der Zeit der Untersuchung auf Urlaub gewesen, schreibt er dazu. Nachsatz: Nach Ansicht von Rech – die sich mit seiner nach Aktenstudium gewonnenen Meinung decke – seien von Pitzals Vernehmung „keine weitergehenden Sachverhaltsklärungen“ zu erwarten gewesen. Zur Erinnerung: Rech ist eine jener Personen, deren Verhalten Rohrer zu untersuchen hatte. Da verwundert es, dass er sich auf deren Beurteilung beruft, wenn es um weitere Befragungen geht. „Die Presse“ hat Rohrer Anfang der Woche nach dem Grund dafür gefragt und auch weitere Fragen zum Gutachten gestellt. Bis Redaktionsschluss langte keine Stellungnahme dazu ein.

„Meldungen blieben aus“

Dass das Desaster so lange unbemerkt blieb, führt Rohrer vor allem auf Untätigkeit von Anwaltskollegen zurück. In Anbetracht der Höhe der Forderungsanmeldungen im Konkurs sei das Ausbleiben von Meldungen an die Kammer über nicht ausgezahlte Klientengelder kaum nachvollziehbar, kritisiert er. Die Prüfpflicht der Kammer dagegen dürfe man nicht überspannen. Sie habe keine unmittelbare Zwangsgewalt. Bloßen Gerüchten müsse sie zudem gar nicht nachgehen. Dazu verweist Rohrer auf OGH-Judikatur zu anderen Schadensfällen (z.B. 1Ob228/09z). Diese zeigen allerdings auch, dass genau das eine Schwäche im System sein könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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