Kartellrecht: Schrecken nur Freiheitsstrafen ab?

(c) APA (Helmut Fohringer)
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In den USA müssen Unternehmen, die gegen das Kartellrecht verstoßen, nicht nur mit Geldbußen rechnen, sondern deren Manager auch mit Haftstrafen. Ein Modell für Österreich?

Wien. Reichen Geldbußen aus, um Unternehmen von der Beteiligung an Kartellen abzuhalten, oder sind es erst die strafrechtlichen Sanktionen gegen deren Manager und Mitarbeiter, die wirklich eine abschreckende Wirkung entfalten?

„Das EU-Recht überlässt es den einzelnen Mitgliedstaaten, wie sie die konkreten Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen ausgestalten. Es ist also auch möglich, dass die EU-Mitgliedstaaten strafrechtliche Sanktionen vorsehen“, sagt Rechtsanwältin Judith Feldner von der Wirtschaftskanzlei Eisenberger & Herzog (E&H). Derzeit werden in vielen Ländern der EU jedoch nur Kartellabsprachen bei Ausschreibungen (sogenannte Submissionsabsprachen) strafrechtlich verfolgt. Anders ist das in den USA: Dort müssen auch die Organe der Unternehmen mit einem Strafverfahren rechnen.

In den USA hinter Gittern

Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Marineschlauch-Kartell: Im Mai 2007 hatte das US-Department of Justice acht ausländische Manager festgenommen. Vorgeworfen wurde ihnen, in den Jahren 1989 bis 2007 Preisabsprachen und Marktaufteilungen für Hochseeschläuche getroffen zu haben. Gleichzeitig fanden im Mai 2007 wegen dieses weltweiten Kartells auch Hausdurchsuchungen der Europäischen Kommission und des Office of Fair Trading (OFT, Anm.: nach dem damaligen Behördensystem die Kartellbehörde des Vereinigten Königreichs) in Großbritannien, Italien und Frankreich statt. Die Europäische Kommission verhängte im Jahr 2009 schließlich gegen mehrere Hersteller von Hochseeschläuchen eine Geldbuße von über 130 Mio. Euro.

In den USA mussten betroffene Unternehmen jedoch nicht nur Geldbußen zahlen. Einzelne ihrer Mitarbeiter wurden außerdem in Strafverfahren zu Haft- und Geldstrafen verurteilt.

Auch der Italiener Romano Pisciotti entging seiner Strafe nicht: Er war während des Kartellrechtsverstoßes bei einem der Kartellanten als Manager einer italienischen Tochtergesellschaft angestellt gewesen, jedoch noch rechtzeitig vor Aufdeckung zu einem nigerianischen Unternehmen gewechselt. Deshalb war er für die amerikanischen Behörden vorerst nicht direkt greifbar. Trotzdem erhoben sie im Jahr 2010 in Florida gegen ihn Anklage. Mit Hilfe eines internationalen Haftbefehls konnte der Italiener schlussendlich gefasst werden. Im Juni 2013, als Pisciotti auf einem Rückflug aus Nigeria nach Italien in Frankfurt einen Zwischenstopp hatte, wurde er am Flughafen festgenommen. Im April 2014 wurde Pisciotti schließlich von den deutschen Behörden aufgrund des zwischen den beiden Staaten bestehenden Auslieferungsabkommens an die USA ausgeliefert. Nun hat er eine Haftstrafe von zwei Jahren abzusitzen.

Doch nicht nur in Übersee kam es zu strafrechtlichen Sanktionen. Das Marineschläuche-Kartell war der erste Kartellfall, bei dem es im Vereinigten Königreich im Jahr 2008 zu Haftstrafen von involvierten Mitarbeitern kam. Gleichzeitig wurde den Betroffenen das Verbot auferlegt, für einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren als Geschäftsführer tätig zu werden.

Doch wie ist die Rechtslage in Österreich? Wann müssen Manager von Unternehmen, die einem Kartell angehören, mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen? „In Österreich und Deutschland bestehen strafrechtliche Sanktionen nur in einem sehr eingeschränkten Rahmen, nämlich nur im Hinblick auf Submissionsabsprachen“, sagt Dieter Thalhammer, Partner bei E&H. „In Deutschland wird allerdings aktuell diskutiert, ob der Straftatbestand nicht doch weitreichender nach dem Vorbild der US-amerikanischen Regelungen gefasst werden sollte.“

Schrecken Haftstrafen ab?

Initialzündung für diese Diskussion ist ein Gutachten der deutschen Monopolkommission (Anm.: ein unabhängiges Beratungsgremium, das die deutsche Bundesregierung in Sachen Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht und der Regulierung berät). Darin spricht sie sich für eine Ausdehnung strafrechtlicher Sanktionen auf Hardcore-Kartelle aus – also Absprachen von Firmen auf derselben Stufe der Produktions- und Vertriebskette. „Die Monopolkommission geht davon aus, dass nur die Androhung einer Freiheitsstrafe ausreichend abschreckend sei und dafür sorgen könne, dass ein Mitarbeiter oder Manager von einer kartellrechtlichen Hardcoreverletzung absehe“, so Thalhammer. Die Verhängung einer Geldbuße hätte keinen ausreichenden Effekt, denn Mitarbeiter fühlten sich davon nicht unmittelbar betroffen.

Stellt sich die Frage, ob nicht auch der österreichische Gesetzgeber über strafrechtliche Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen nachdenken sollte? Feldner sieht dafür keine Veranlassung: „Das bestehende System des österreichischen Kartellrechtsvollzugs wurde erst mit der Kartellgesetznovelle 2002 implementiert. Damals wurde das Strafrechtsregime, das bis zu diesem Zeitpunkt im Kartellrecht bestand, durch ein Geldbußensystem ersetzt. Damit hat sich Österreich bewusst für eine Entkriminalisierung des Kartellrechts entschieden.“ In den Materialien zur Novelle 2002 hieß es damals, dass sich das System der strafrechtlichen Sanktionen nicht als ausreichend wirksam erwiesen habe. „Es gibt im Jahr 2015 keinen Anlass, hier wieder einen Schritt zurückzumachen“, so Feldner.

Auch die EU-Kommission hat ihre Bedenken: „Sie sieht das praktische Problem darin, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben könnten, einen Kronzeugenantrag vorzubereiten, wenn die Mitarbeiter aus Angst vor strafrechtlicher Sanktionen nicht zur Aufklärung beitragen“, sagt Thalhammer.

Auch Theodor Thanner, Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde, sieht keinen Bedarf für Veränderung: „In Österreich hat sich das Bußgeldsystem bewährt. Aus der Business Community kommt ein entsprechendes Feedback, nämlich dass Unternehmen das Kartellrecht sehr ernst nehmen. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall. Die hohen Geldbußen gegen Unternehmen nach teilweise sehr langwierigen Verfahren haben hierzu sicher auch einen wesentlichen Beitrag geleistet.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2015)

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