Insolvenzrecht: Pleitiers pfeifen auf Eigenverwaltung

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Das Interesse an Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung sinkt. Der Hauptgrund sind die höheren Kosten. Oft werden Verfahren auch zu spät angemeldet.

Wien. Rekorde sind so eine Sache. Vor allem, wenn sie negative Entwicklungen betreffen. So könnte die vom Kreditschutzverband für 1870 (KSV) erstellte Bilanz der vergangenen 20 Jahre Insolvenzgeschichte auch den Titel „Pleiten, Pech und Pannen“ tragen. Allein die Insolvenzquote von rund vier Prozent (bezogen auf 1000 Firmen) ist im europäischen Vergleich ein Negativrekord. Und die Alpine-Pleite sprengte mit Schulden von 3,5 Mrd. Euro alle Dimensionen.

116.671 Firmen gingen in diesem Zeitraum 1995 bis 2015 pleite – nicht weniger als 16 pro Tag (zählt man nur die Werktage, waren es noch viel mehr). 455.300 Arbeitnehmer und 1,7231 Millionen Gläubiger waren von den Firmenzusammenbrüchen betroffen. Aber nur etwas mehr als die Hälfte der Insolvenzfälle (59.784) wurden tatsächlich eröffnet. Das heißt, den Gläubigern bot sich – zumindest theoretisch – die Chance, einen Teil ihres Geldes wiederzusehen. Der Rest der Insolvenzverfahren (56.887) konnte mangels Masse gar nicht abgewickelt werden.

Dennoch: In dieser Chronik der Leiden und Niederlagen gibt es auch Lichtblicke: Mit dem neuen Insolvenzgesetz (Iräg), das mit 1.Juli 2010 in Kraft trat und das Sanierungsverfahren mit und ohne Eigenverwaltung brachte, gab es eine Trendwende, was das Weiterleben von Unternehmen nach einer schweren Schieflage angeht.

Bis 2010 gab es den Konkurs und den Ausgleich. Letzterer ermöglichte – mit einer Quote von 40Prozent – die Entschuldung und den Weiterbestand einer Firma. Allerdings verlor der Ausgleich über die Jahre massiv an Bedeutung, eben wegen der hohen Quote. Nur 4,7 Prozent aller zwischen 1995 und 2010 eröffneten Insolvenzverfahren (2103) waren Ausgleiche.

Weg vom Konkurs-Stigma

„Der Zwangsausgleich hatte sich mit einer nur 20-prozentigen Quote zum schnelleren Bruder des Ausgleichs entwickelt“, erklärt Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte des KSV. Allerdings musste die Firma zuvor in den stigmatisierten Konkurs geschickt werden. Weshalb man in der Gesetzesnovelle mit dem Sanierungsverfahren eine praktikable Alternative verankerte.

Mit Erfolg: Jedes fünfte der ab Mitte 2010 eröffneten Insolvenzverfahren (3162) ist ein Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung. Bei Ersterem bleibt dem Unternehmer/Manager die Möglichkeit, weiterhin Rechtshandlungen vorzunehmen, während beim anderen Verfahren ein Masseverwalter eingesetzt wird. Bei beiden Verfahren ist ein Sanierungsplan schon vor Eröffnung Voraussetzung. Beim Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung beträgt die Quote mindestens 30 Prozent, ohne Eigenverwaltung sind es nur 20 Prozent.

Dieser „Selbstbestimmung“ auch im Insolvenzfall wurde bei der Gesetzesfindung große Bedeutung beigemessen, weil zuvor vielfach die „Entmündigung“ kritisiert worden war. Vor allem von Familienbetrieben sei dieses Argument gekommen, sagt Gerhard Weinhofer von der Creditreform. Letztlich zeigt freilich die Statistik, dass die Eigenverwaltung doch nicht so wichtig ist. Seit Bestehen des Iräg hat sich der Anteil der eigenverwalteten Verfahren von 7,5 auf knapp über drei Prozent halbiert, wie aus der KSV-Zeitreihe hervorgeht. Zudem scheitern etliche selbstverwaltete Verfahren, weil die Gläubiger den Sanierungsplan innerhalb von 90 Tagen nicht akzeptieren und die Selbstverwaltung entzogen wird.

Ist die Gesetzesreform deshalb gescheitert, und droht das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung – ähnlich wie zuvor der Ausgleich – zu totem Recht zu werden? Otto Zotter vom KSV, der für die 20-Jahre-Übersicht verantwortlich zeichnet, widerspricht vehement. Das eigenverwaltete Verfahren habe weiterhin seine Berechtigung. Aber die bei Sanierungen häufig beigezogenen Berater (Anwälte, Steuerberater usw.) rieten den Schuldnern „wegen der niedrigeren Mindestquote, den leichter zu erbringenden Verfahrensvoraussetzungen und der flexibleren Verfahrensdauer, die Geschäfte einem Insolvenzverwalter zu übergeben“.

Kantner sieht das ähnlich: „Die Eigenverwaltung verliert nicht an Bedeutung, weil sie so schlecht ist, sondern weil das andere Verfahren so gut ist“, sagt Kantner zur „Presse“. Und Weinhofer ergänzt: „Die Kosten stechen die Selbstständigkeit.“ Wenn das Geld ohnedies schon knapp sei, dann pfeife man auf die Eigenverwaltung und ziehe die niedrigere Quote vor. Oftmals spiele aber auch ein altes Übel eine Rolle, betont Zotter: Es liege zwar in der Natur der Sache, dass Firmenchefs vor der Realität die Augen verschlössen. Aber je später eine Insolvenz angemeldet werde, desto geringer sei die Chance auf Sanierung.

Flexibilität bei der Quote

Um generell die Überlebenschancen von Firmen zu erhöhen, plädiert Weinhofer für mehr Flexibilität bei der Quote: „Warum sind die 20 Prozent in zwei Jahren einzementiert?“ Letztlich gehe es ja nur darum, was mit den Gläubigern vereinbart werde – die sollen so viel Geld wie möglich bekommen. „Vielleicht schafft ein Schuldner sogar 50 Prozent in fünf Jahren.“

AUF EINEN BLICK

Mit dem neuen Insolvenzrecht hat sich die Chance auf eine Sanierung von in Schieflage gekommenen Unternehmen deutlich erhöht. Der Grund sind die neu eingeführten Sanierungsverfahren, geht aus einer 20-Jahre-Bilanz des Kreditschutzverbandes von 1870 hervor. Entfiel bis 2010, als das neue Gesetz in Kraft trat, nur 4,1 Prozent aller Insolvenzverfahren auf Ausgleiche, so ist nun jedes fünfte Verfahren ein Sanierungsverfahren. Die eigenverwalteten Verfahren gehen aber deutlich zurück – die höhere Quote schreckt viele Firmen ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2015)

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