Nicht die Bürger, sondern die Behörden gehören überwacht

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wahrnehmungsbericht. Örak-Präsident Rupert Wolff kritisiert, dass der Staat seinen eigenen Bürgern mit immer mehr Misstrauen begegnet.

Wien. Bereits zum 41. Mal legt der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (Örak) nun den Wahrnehmungsbericht der österreichischen Rechtsanwälte vor.

In einem eigenen Kapitel befassen sich die Rechtsanwälte mit dem Thema Gesetzgebung und sehen bedenkliche Entwicklungen. Sie kritisieren, dass in vielen Fällen die vom Bundeskanzleramt empfohlenen Begutachtungsfrist einfach nicht eingehalten wird. Aber auch Maßnahmen wie die Neugestaltung der Grunderwerbsteuer heißt die Örak nicht gut. Die Regelung verursache spürbare Unsicherheit in der Bevölkerung: „Aktuell steht der Bürger vor der Situation, nicht abschätzen zu können, ob, wann und mit welcher Steuerbelastung die Übergabe einer Liegenschaft abgewickelt werden soll“, so Örak-Präsident Rupert Wolff.

Staat misstraut seinen Bürgern

Sorge macht den Rechtsanwälten auch die Tendenz des Staates, immer tiefer in Grund- und Freiheitsrechte der Bürger einzugreifen. „Die aktuellen Reformbestrebungen der Bundesregierung bezeugen einen enormen Vertrauensverlust der Behörden in die Bürgerinnen und Bürger. Das geplante polizeiliche Staatsschutzgesetz schafft erweiterte, teilweise unverhältnismäßige Eingriffsbefugnisse der Behörden in die Privatsphäre der Bürger, etwa durch den Einsatz sogenannter V-Leute (Vertrauens-Leute)“, warnt Wolff.

Auch die Abschaffung des Bankgeheimnisses werten die Rechtsanwälte als „Schritt des Staates weg von den Bürgern“. Wolff: „Eine Entwicklung, die den Bürger von seinem Staat entfernt, weil dieser sich von ihm entfernt. Die Sicherung des sozialen Friedens und des Rechtsstaates lässt sich nicht durch die schrankenlose Überwachung der Bürger erzielen, sondern vielmehr durch Kontrolle der staatlichen Behörden!“

Intensiv beschäftigt sich der Wahrnehmungsbericht auch mit den Strafverfahren in Österreich. Besonderes Augenmerk legte die Örak auf das Thema Akteneinsicht. Und kommt zu einem Ergebnis, das nachdenklich macht: Es dürfe in einem demokratischen Rechtsstaat nicht vorkommen, dass Akteneinsicht zum Spießrutenlauf wird und von der Laune einzelner Sachbearbeiter abhängig ist, wie es in einem Kärntner Fall geschehen sei, betont Wolff. Nach Schilderungen eines Kärntner Kollegen habe die konkrete Sachbearbeiterin schlichtweg „keine Lust“ gehabt, dem Rechtsanwalt den Strafakt zu übergeben.

Ebenso kritisieren die Anwälte das Verhalten mancher Richter. Immer wieder berichten sie von offen zur Schau gestelltem Desinteresse und Hochmut einzelner Richter. Wie im folgenden Fall: Am Beginn einer Hauptverhandlung fragte der Richter den Angeklagten, ob sich seine Generalien geändert hätten. Der Angeklagte fragte daraufhin, was er damit meine. Er meine damit, ob er sich etwa von „Mandl auf Weibl“ umoperieren habe lassen, konterte der Richter.

Unnötige Verzögerungen

Laufend sehen sich die Anwälte auch mit Verfahrensverzögerungen sowohl in Zivil- und Außerstreit- als auch Verwaltungsverfahren konfrontiert. Besonders krass ist folgender Fall, den eine niederösterreichische Anwältin erlebte: Es geht um einen im Jahr 2005 eingebrachten Antrag auf Benützungsregelung unter Miteigentümern im außerstreitigen Verfahren. Infolge von Richterwechseln und Abberaumungen sei es im konkreten Fall immer wieder zu Verfahrensverzögerungen gekommen. Nach fast achtjähriger (!) Verhandlungsdauer sei das Verfahren über die Benützungsregelung letztendlich erst im September 2013 geschlossen worden. Vom Verhandlungsrichter sei eine zügige Erledigung des Aktes und eine baldige Entscheidung angekündigt worden. Die sah so aus: Nach mehreren telefonischen Anfragen und Urgenzen der Kollegin sei schließlich am 30. Mai 2014 der Beschluss ergangen. Im Zuge eines Telefonats habe sie in Erfahrung gebracht, dass der Beschluss aufgrund des nicht eingebrachten Rechtsmittels rechtskräftig sei. Am 1. Dezember 2014 jedoch habe die Kollegin dann einen Anruf vom Verhandlungsrichter erhalten, der ihr mitteilte, dass vom Antragsgegner doch am 2. Juli 2014 ein Rekurs gegen den betreffenden Beschluss erhoben worden sei. Der gesamte Akt sowie der Rekurs seien in Verstoß geraten und erst später wieder aufgefunden worden.

Wie kann es zu solchen Verzögerungen und Fehlern kommen? Als Gründe dafür würde von betroffenen Richtern oft Überlastung genannt, sagt Wolff. Wie es zu wenig Personal trotz voller Kassen der Justiz geben kann, ist ihm allerdings unverständlich. Österreich ist nämlich das einzige Land, das mit seinen Gerichtsgebühren satte Gewinne einfährt. Ausreichende Mittel für Personal müssten also in der Kasse sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

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