Wann Zugaben zu weit gehen

(c) Michaela Seidler
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Seminare, für die man zahlen muss, wenn man ein Vorsorgeprodukt nicht lange genug behält: Dieses Geschäftsmodell ließ der OGH nicht gelten.

Wien. Darf ein Finanzdienstleister Kunden an sich binden, indem er ihnen – zusätzlich zu einem Vorsorgeprodukt – ein mehrjähriges „Finanzcoaching“ anbietet? Und indem er nur dann auf die Kosten für die Seminarreihe verzichtet, wenn man das Finanzprodukt lange genug behält? Mit einem solchen findigen Geschäftsmodell musste sich kürzlich der OGH befassen. Er ließ daran kein gutes Haar (7Ob73/15h).

Das Linzer Unternehmen, um das es geht, hieß früher Blue Vest Equity Finanzmanagement GmbH. Jetzt firmiert es als Status Finanzservice GmbH und bietet keine Seminare mehr an. Schon seit Mitte 2013 nicht mehr, sagt Geschäftsführer Christian Schauer zur „Presse“ – obwohl die Kunden damit „sehr zufrieden“ gewesen seien.

Aber der Reihe nach: Blue Vest vertrieb Vorsorgekonzepte. Und, quasi als Draufgabe, eben auch Seminarverträge. Wobei man den Preis dafür dann nicht berappen musste, wenn man mindestens fünf Jahre lang brav in das abgeschlossene Vorsorgekonzept einzahlte.

Klauseln umgehen Schutzbestimmung

Den Konsumentenschützern der AK Oberösterreich gefiel das gar nicht, sie riefen den VKI auf den Plan. Dieser ging gegen besagte Klauseln vor – und bekam nun vom OGH recht. Unter anderem, weil dadurch nach Ansicht des Höchstgerichts eine Schutzbestimmung des Versicherungsgesetzes ausgehöhlt worden sei. Laut Gesetz besteht nämlich, wenn ein Lebensversicherungsvertrag innerhalb der ersten fünf Jahre endet, nur ein anteiliger Provisionsanspruch.

Das werde durch die Vertragsbestimmungen umgangen, entschied das Gericht. Konkret ging es um Klauseln, die Folgendes besagten: Durch Abschluss des Seminarvertrages erwerbe man das Recht, für die Dauer von sechs Jahren an acht Seminaren zu sechs Stunden teilzunehmen. Seminarinhalt: Themen rund ums Geld, wie Erben und Schenken, Arbeitnehmerrechte, Steuerausgleich, Mieterrechte, Förderungen und Subventionen, Pensionsproblematik, Veranlagungen, Vermögensverwaltung, Versicherungen und Produktpräsentationen.

Der fällige Preis dafür werde gestundet, „solange die Vorsorgekonzepte so, wie ursprünglich beantragt, zustande kommen und bezahlt werden“. Werde länger als fünf Jahre bezahlt, verzichte die Gesellschaft auf das gestundete Seminarentgelt. Zu bezahlen sei es dagegen nicht nur beim vorzeitigen Ausstieg aus dem Vorsorgekonzept, sondern auch, wenn dieses geändert werde, ebenso bei wirksamer Anfechtung oder Aufhebung. Und sogar dann, wenn der Kunde bloß die Vollmacht „zur Einholung von Auskünften betreffend das Vorsorgekonzept“ widerrufen sollte.

All das ließ der OGH nicht gelten. Bei kapitalbildenden Lebensversicherungen komme eine Schutzbestimmung im Versicherungsgesetz zum Tragen, wonach bei vorzeitiger Auflösung des Versicherungsvertrages der Vermittler nur auf jenen Teil der Provision Anspruch hat, der dem Verhältnis der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren entspricht. Das könne vertraglich nicht geändert und dürfe auch nicht umgangen werden.

Jetzt lockt ein iPhone

Die lange Bindungsdauer an den Seminarvertrag sei zudem sachlich nicht gerechtfertigt und die Bedingungen, unter denen eine sofortige Zahlungsverpflichtung für die Seminare ausgelöst werde, gröblich benachteiligend, heißt es in dem Urteil. Besonders wird kritisiert, dass sogar bei nachträglichen Erweiterungen des Vorsorgekonzepts, bei einem bloß geringfügigen Zahlungsverzug oder bei einer erfolgreichen Anfechtung des Vorsorgevertrags wegen Irrtums oder List die Stundung des Seminarentgelts wegfallen sollte. Also selbst dann, „wenn die Vertragsauflösung auf ein der Beklagten zuzurechnendes Fehlverhalten wie einen Beratungsfehler zurückzuführen ist“.

Die Status Finanzservice GmbH, wie sie jetzt heißt, hat sich – wie eingangs erwähnt – von diesem Geschäftsmodell inzwischen verabschiedet. Um Ideen für attraktive Zugaben ist sie aber weiterhin nicht verlegen: Heuer lockt, wie ihrer Homepage zu entnehmen, ein iPhone 6s „gratis zu Ihrer Pensionsvorsorge oder Kapitalveranlagung“. Diese Aktion sei völlig anders konzipiert worden, die zu unterlassenden Klauseln würden dabei nicht verwendet, sagt Geschäftsführer Schauer auf „Presse“-Anfrage. Es handle sich um eine Art von Zugabe, wie sie „auch von anderen Anbietern (Wüstenrot, Helvetia, etc.) bekannt ist“ – und die der OGH bereits als rechtens bestätigt habe.

In jenem anderen Fall (4Ob100/13d) ging es ebenfalls um ein iPhone als Zugabe zu einem Vorsorgeprodukt. Der OGH bestätigte hier die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass keine aggressiven oder sonst unlautere Geschäftspraktik vorliege. Grundtenor der Entscheidung: Einen Kunden durch eine Zugabe dazu zu veranlassen, sich mit einem Angebot näher zu befassen, sei per se noch nichts Böses. Denn: „Befasst sich ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher, der eine dem Anlass angemessene – hier also hohe – Aufmerksamkeit aufwendet, näher mit dem Angebot, wird auch eine hochwertige Zugabe nicht dazu führen, dass er sich allein deswegen, unter Ausschluss rationaler Erwägungen, für dieses Produkt entscheidet“. Ein Satz, der auch als deutlicher Appell an den „mündigen Konsumenten“ gelesen werden kann.

Eine aliquote Verrechnung des Preises für die Zugabe, wenn der Kunde seinen Versicherungsvertrag nicht lange genug behält, ist bei solchen Angeboten ebenfalls üblich – und zwar nach wie vor in Sechzigstel-Anteilen, also umgelegt auf eine Laufzeit von fünf Jahren. Sein Unternehmen behalte sich das aber – anders als Mitbewerber – nur für die ersten 24 Monate vor, sagt Schauer. Danach könne der Kunde „mit seinem Versicherungsvertrag machen, was er will“, ohne die Gratis-Zugabe zu verlieren. Wer vorher aussteigt, dem werden aber ebenfalls nur Sechzigstel-Anteile pro Monat gutgeschrieben – und zwar, Schauer erklärt, „weil wir selbst unsere Provisionen für die Lebensversicherung erst über 60 Monate verdienen“. Bei der anderen Vorsorgeform, der Kapitalveranlagung, gehört die Zugabe von Anfang an dem Kunden. So viel Großzügigkeit fällt dort wohl leichter, weil ja auch die Provisionsregeln des Versicherungrechts dafür nicht gelten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

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